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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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hatte.
    Babenberg: Eine hübsche Auslegung haben Sie sich da zurechtgemacht.
    Karl von Kahn: Ich bin Matthäus gefolgt, Wort für Wort. Auch unsere Gescheitesten haben nur so simpel denken können: Einer leiht sich Geld, gibt es aus und soll mehr zurückzahlen, als er sich geliehen hat, pfui! Aber schon bei Matthäus wird Geld nicht ausgegeben, sondern angelegt. Einhundert Prozent Gewinn. Er habe gerade in Genua seinen italienischen Geschäftsfreund, der arbeite bei der ehrwürdigen Carige, gefragt, wie Zinseszins auf italienisch heiße. Zins, italienisch: l’interesse , wie kann daraus Zinseszins werden? Und siehe da, drei Wörter, sagt ihm Federico, gibt es für Zinseszins im Italienischen, wo wir ja das Geldwesen gelernt haben: usura , anatocismo und l’interesse composto . Usura ist dann die der Moral dienende Variante, Wucherzins. Anatocismo komme als griechisches Importwort schon bei Cicero vor: Anatocismo anniversario stehe bei Cicero. Wenn ich meinen schlanken Federico richtig verstanden habe, ist tókos der Zins im Griechischen und anatokós wäre der Zins auf den Zins. Das war also immer schon so. Aber jetzt wie noch nie. Und das wird Ihnen in Genua erklärt, während Sie an der Oper vorbeischlendern, wo die Komponistenfahnen wehen, die schönsten Musiknamen überhaupt, hinüber zum Matteotti-Platz, an Fassaden entlang, an denen sich die Augen erholen können von dem, was bei uns aus dergleichen wurde. Er ist noch nie von Genua zurückgeflogen nach München. Hingeflogen immer. Zurück nie. Wegen Turin. Immer mit dem Zug noch nach Turin. Turin, die städtisch gebändigte Pracht. Weil die Palazzi so fensterreich sind, sind sie, obwohl sie so groß wie schön sind, Stadthäuser. Sein Lieblingsbau unter diesen Prachtsbauten, der Palazzo Carignano. Gebaut von Guarino Guarini. Er hat große, gewaltige Gebäude bauen müssen, hat aber offenbar keine leeren Flächen ertragen, eine bloße Wand, eine nackte Wand muß für ihn der reine Schrecken gewesen sein, darum Fenster an Fenster, und oft genug werden die Fenster noch überworfen mit steinernen Schals, und überall wuchert der Stein in ein Muster, wie unsereins kritzelt, wenn er kein leeres Papier aushält. Ich muß Ihnen jetzt, daß Sie ihn noch ein bißchen ernst nehmen können, die Wörter aufsagen, die aufgeboten werden, um Guarino Guarini vorstellbar zu machen: eccentricità, eccezione, eccesso, singolarità, estrosità, bizzarria, cappriccio, stravaganza, esagerazione , kurz una superbissima vista . Das Wort Fassade hat bei uns mit Recht keinen ungetrübten Ruf. Unsere Fenster sind leblose Öffnungen in zweckdienlicher Verteilung. In Turin sind die Fenster die Fassade, diese mit steinernen Schals überworfenen Fenster. Ohne diese Schals frören sie. Mit ihnen träumen sie. Da schauen Sie bei mir hinaus. Die Vereinsbank- Fassade. Eine Fassadenvisitenkarte nach dem Prinzip Zuviel ist nicht zuviel. War ja auch hundert Jahre nach dem Turiner Baurausch. Alle Paläste, Kirchen, Kastelle, 1640 bis 1680, in nicht mehr als vierzig Jahren gebaut. Liberare gli scenari. Da darf’s einem doch ganz anders werden. Daß er jetzt so ins Schöne abgeschweift ist, überrascht ihn mindestens so wie wahrscheinlich auch Herrn Babenberg. Und da ihm am Anfang dieses Gesprächs danach war, möglichst wenig Zensur auszuüben über sich selbst, ist ihm diese Kurve ins Großitalienische passiert. Er entschuldigt sich nicht. Sagt lieber dazu, daß das Motiv dieser Abweichung gewesen sein könnte, in Markus Luzius Babenberg eine Neugier auf Turin zu wecken und sich dann gar als Reiseführer anzubieten. So etwas muß nicht, darf aber durchaus folgenlos bleiben. Wenn Geldvermehren nicht zu einer Pflicht geworden wäre, zu einer Pflicht seinen Kunden gegenüber, wäre er längst nach Turin gezogen. Zurück zum interesse composto …
    Momentino, rief Herr Babenberg, sprang auf und ging hin und her, als wolle er vermeiden, unbeherrscht zu reagieren. Dafür, daß er so groß und langbeinig war, machte er recht kleine Schritte. Er bremste sich. Also bitte, sagte er dann und sagte es nicht zu Karl von Kahn hin, sondern in den Raum hinein, also bitte, Pathos darf sein. Jeder ist auf einer Wallfahrt zu einem, zu seinem Heiligen. Unser Diego zu seinem gelenkigen Voltaire, Sie zu Ihrem findigen Warren Buffett und Markus Luzius Babenberg ist, solange er noch beten konnte, Friedrich Nietzsche nachgereist, hat fromm alle seine Adressen abgeklappert, die Türklinken in der Hand behalten, weil sie

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