Angstblüte (German Edition)
noch Zeiten.
Was für Zeiten, fragte Karl von Kahn.
Unschuld gewährende, sagte Babenberg. Ein linker Sohn reicher Leute hat im unglücklichsten Land der Welt Geld, das er in Kaviar ausdrückt. Heute ist Genuß wieder eine Sünde. Er hat so viel gearbeitet, daß ihn die sentimentalmoralischen Attacken nicht kleinkriegen. Die Freundlichkeitstonarten der Gutmenschen haben ihn belehrt: Er ist kein Wärmeleiter. Im Gegenteil. Seine Wut sucht immer noch nach einem Anlaß, der ihr entspräche. Er ist längst ausgetreten aus allen Verbesserungsvereinen dieser Welt. Er lebt von der Angst, es könnte einer kommen, der die globale Unordnung überwindet. Man stelle sich vor, alles ginge plötzlich mit rechten Dingen zu. Wir wären sofort verloren. Wir leben im Schutz verhindernder Umstände. Und in der Angst, sie könnten entfallen. In dieser Angst und von ihr leben wir. Bisher hat sein Spruch ausgereicht: Laß alles weg, was du nicht kannst, dann bist du gut. Aber – und damit wolle er’s vorerst genug sein lassen – trotz seiner nahezu prinzipiell illegitimen Lebensart fehle ihm der Mut, etwas Unrechtes zu tun. Je illegitimer, desto legalistischer. Wie soll er Geld verdienen mit Geld, das er nicht verdient hat. Bitte schön. Was soll er tun?
Karl von Kahn sagte, wer wolle, könne an das Geld glauben, wie man daran glauben konnte, als die Münzen noch etwas wert waren. Georg Simmel habe das vor mehr als hundert Jahren beschrieben, wie beim Geld aus der Substanz die Funktion wurde. In mir sehen Sie einen Funktionär des Geldes, sagte Karl von Kahn. Und der bietet Ihnen, wenn Sie gestatten, Aufklärung an. Auch Geld betreffend darf Aufklärung sein. Für Geld ETWAS kaufen, ein Haus, eine Zahnbürste, das ist immer noch Tauschhandel. Erst wenn keine Gegenstände mehr stören, wenn Geld ganz bei sich selbst bleibt, wenn man durch richtige Fügung die Geldvermehrung bewirkt und das vermehrte Geld wieder dazu bringt, sich zu vermehren, erst da beginnt das Reich der Freiheit beziehungsweise die Kunst oder, was das gleiche ist, die Religion, die keinen reineren Ausdruck kennt als die Zahl, das Geistige schlechthin. Wenn sie nicht dazu mißbraucht wird, Dinge zu addieren. Aber bevor sie den Zahlen die Regie überlassen, muß er Herrn Babenberg eine Version der Rechtfertigung anbieten. Es gibt Kunden, da genügt es, eine Ethikpalette vorzulegen. In Rüstungsfirmen nicht, aber in Solartechnik schon. Herrn Babenberg muß er eine feinere Formel der Rechtfertigung anbieten. Nämlich seine eigene. Die lautet: Da alle Menschen, durch welche Umstände auch immer, so sind, wie sie sind, gibt es, will man leben, kein anderes Ziel, als von ihnen unabhängig zu sein. Unabhängig von der Zustimmung anderer.
Babenberg: Dafür nehmen Sie die bewußtloseste, willkürlichste, geistloseste Diktatur in Kauf, die denkbar ist, den Markt. Oder wollen Sie sagen, dieser alles entscheidende Markt habe einen Wert an sich oder in sich oder für sich?
Karl von Kahn: Stellen wir an den Markt Ihre Lieblingsfrage, die nach der Gerechtigkeit. Der Markt ist nicht ungerechter als alles andere, was Menschen veranstalten. Der Markt ist nicht ungerechter als irgendein Richter, ein Lehrer, ein Vater, als irgendeine sonstige Autorität. Es kann einer vorübergehend den Markt erobern. Er kann eine Marktmacht so gebrauchen, daß man’s Mißbrauch nennen kann. Einhundert Sekunden lang. Wie die zwei Herren von der Citigroup , immerhin der größten Bank der Welt. Da werfen zwei Herren per Computer Staatsanleihen für 12,9 Milliarden Dollar auf den Markt. Das reißt den Wert dieser Anleihen sofort in die Tiefe. In weniger als einhundert Sekunden kaufen sie 4 Milliarden der jetzt billiger notierten Anleihen zurück und haben in diesen hundert Sekunden eine Million Dollar verdient. Auf beiden Seiten des Atlantiks sanfte Empörung. Die Financial Services Authority schweigt. Was sagt Ihr Gerechtigkeitsgefühl?
Babenberg: Sie machen mich wieder zum Linken.
Karl von Kahn: Einmal links, immer links.
Babenberg: Aber Sie wollen mich so weit bringen, daß ich sage: Alle Achtung.
Karl von Kahn: Die dreihunderttausend Citigrouper around the globe haben ein Ethiktraining absolvieren müssen.
Babenberg: Die Wirklichkeit ist immer selbst ihre beste Darstellerin.
Karl von Kahn: Ich stimme zu. Aber der Markt hat ein Zeitmaß für seine Gerechtigkeit, das sich dem simplen Bedürfnis, daß die Strafe der Tat miterlebbar folge, entzieht. Wer den Markt moralisch fassen will, faßt
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