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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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zwanzig Jahren die Pistole in Wolfersreut wieder geholt. Der Bauer lebte noch. Die Pistole hat er gut behandelt.
    Ich liebe Dich, lieber Karl, auf eine unausdrückbare Weise. Du warst immer das Nächste, was ich hatte. Nur Dir kann ich sagen, Márfa sieht aus wie eine Blume, die auf dürrem Boden gewachsen ist und das ganz vergessen läßt. Ich kann nicht aufhören, von ihr zu reden. Und muß, um von ihr reden zu können, durch die ganze Welt hindurchreden, die im Weg steht. Ich bin mit Lotte verheiratet. Jedes Wort über Márfa ist ein Stich in Lottes Herz. Márfa ist mein Leben, darum ist sie mein Tod. Ich bin dran jetzt. Mir ist auf dem Kopfe das letzte Moos gewachsen. Mein Atem erreicht meine Lippen kaum noch. Stille, Leere, Ausgeräumtheit. Möchte fort sein von mir und lasse mich nicht gehen. Ich hänge an mir. Ich habe nicht nur eine Orgel gebaut, sondern auch Uhren. Für Kirchtürme sogar. Und träumte vorgestern nacht, daß ich nach einer Uhr greife, habe sie in der Hand, spüre, daß sie nicht mehr fest ist, also Vorsicht, es darf sich in ihr nichts verschieben, sonst bring ich sie nicht mehr zum Gehen, und das muß ich, aber so vorsichtig ich bin, gleich verschieben sich Teile gegeneinander, gleich ist die Uhr ein Haufen Teilchen, und eine zweite dieser Art werde ich nicht kriegen. Ich bin aber im Meer geschwommen und hatte die Uhr am Handgelenk. Darum ist sie jetzt aufgeweicht und kaputt. Und eine Frau schält sich am Strand aus dem Sand, sieht eckig aus, ihr Gesicht aber, sobald ich ihr von der Nähe ins Gesicht schaue, ihr Gesicht ist eine Steppe im Morgenlicht. Verzeih. Wir finden eine beige Decke. Jetzt schon in einem Zimmer. Da kommt ein Mann, der schiebt eine Hand unter sie, und sofort steht sie auf, sehr eng aneinander gehen sie davon. Und sprechen Russisch. Ich suche im Hotel ein Zimmer für Lotte und für mich. Es ist ein kleines Bett. Wir müssen uns eng aneinander pressen. Um uns herum stehen Figuren aus Gips, Trachtenträger aus Gips. Auf den Köpfen hohe Hut-Aufbauten aus Gips. Eine riesige Frau nähert sich. Ich ihr entgegen. Sie: Frau Bürgermeister will mit Ihnen tanzen. Dreht sich ein bißchen, hinter ihr, klein, fast winzig Márfa. Ich kann nicht tanzen mit ihr, sie ist zu klein. Dann reißt mich die Riesin mit sich fort und schleudert mich herum.
    Die Utopie aller Utopien: Von uns sollte nichts bleiben als was wir träumten. Ungedeutet. Unsere Träume sind unser Deutlichstes. Mein letzter Traum, gestern nacht: Mein 80. Geburtstag steht bevor. Eingeladen habe ich Dostojewskij, Hölderlin, Bruckner, Karl May, Nietzsche, Bismarck, Franz Kafka und Sylvia Plath. Franz Kafka hat abgesagt, Sylvia Plath hat weder zu- noch abgesagt. Ich sah einem harmonischen Fest entgegen. Das Fest stand bevor. Kam aber nicht näher. Ein stehengebliebener Film. Atemlos.
    Ich weiß, lieber Karl, alle haben mein Bestes gewollt.
    Auch Diego. Entschuldige mich bei ihm. Mir bleibt für die Abendstunde der Blick auf die Bäume. Eine jenseitsfreie Welt. Ich könnte noch mit Asien telefonieren. Besuch wünschen aus Tokio. Heilsamen Besuch. Die Höflichkeit des Buddhismus, verglichen mit dem aggressiven Wahn unserer aufklärerischen Soziologen. Ich entschuldige mich, lieber Karl. Mir sind die Aggressiven so nah wie die Friedlichen. Ich bin weit weg. Also ist alles gleich nah. Daß ich das Auto verschenkt habe an den jungen Meschenmoser, war Dir nicht verständlich, weil der junge Meschenmoser Dir ein-, zweimal frech gekommen ist. Er ist Oberkellner, lieber Karl, davon muß er sich in der Freizeit erholen. Aber warum kein Auto mehr? Das muß ich Dir noch hinterlassen, weil es zur Spur gehört, die sich durch das Dasein zieht, das ich mein Dasein nennen soll. Ich mit meinem Volvo auf der Autobahn nach Bayreuth. Hölzer zu holen für die Orgel. Da winkten drei so heftig, daß ich rechts ranfahren mußte. Drei Burschen. Sie wollten mitgenommen werden. Das sagte einer zum Fenster herein. Die zwei anderen hatten schon den Kofferraum aufgemacht. Das sah nicht gut aus. Also geb ich Gas und fahr ab. Allerdings mit einem Ruck. Ich komm in Bayreuth an, mach den Kofferraum auf, da liegt blutig eine abgerissene Hand drin. Ich zur Polizei, melde alles, die nehmen die Hand, schreiben alles auf. Nie mehr etwas gehört. Aber an einem Finger dieser Hand war ein Ring.
    Lieber Karl, leben können ist eine besondere Fähigkeit. Ich habe nichts auszusetzen an irgendwas oder irgendwem. Wenn ich etwas nicht für richtig halte, fällt mir

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