Angstblüte (German Edition)
mußte der Sohn sein, der furchtbar an seiner Mutter hing, der es sich übelnahm, nicht dabeigewesen zu sein, als sie starb, der auf Curaçao an einem Taucherlehrgang teilnahm, unerreichbar, und der Fotograf glaubte, er tue dem Sohn einen großen Liebesdienst, wenn er ihm die tote Mutter abbilde. Aber der war schockiert. Nur schockiert. Rannte hin und erstach den. Ich meine, das ist doch eine Krimisubstanz, deren ich mich nicht schämen muß, oder?
Karl sagte heftig: Aber wirklich nicht!
Eben, sagte Strabanzer. Wenn ihr das Foto meiner toten Mutter gesehen hättet, würdet ihr verstehen, warum ich diesen Film habe so grob und eckig drehen müssen. Also in diesem Film spielte Benno Brauer einen komplizierten Neffen des unglücklichen Sohns, der ja auf Curaçao nur tauchen lernen wollte, um seine immer kränker werdende Mutter zu vergessen.
Also ich zu Bennos Beerdigung. Schön fade Reden, nichts schöner als schön fade Beerdigungsreden. Mehrere Witwen mehr oder weniger gefaßt. Eine aber totalmente ungefaßt, eine Blondblonde, unterm Wollhelm das frechste Näschen der Welt, und heulte so, daß ihr nachher mehr kondoliert wurde als den Witwen. War ja traurig, Selbsttötung per Pistole. Ich, neugierig, kondoliere ihr auch, halte das Händchen so lange, bis ich erfahre, sie ist keine Hinterbliebene, aber diesen unfaßbaren Schwellmund hätte ich, auch wenn er einer trauernden Hinterbliebenen gehört hätte, rücksichtslos vom Cementerio weg ins Café geladen, soviel Richard der Dritte gehört zur Normalausstattung, wir schleichen uns also fort. Hat Benno Brauer, den notorischen Kammerspielkomplizierten, nie gesehen, aber von einer Schauspielerbeerdigung hat sie was lispeln gehört in ihrer Privatschulklitsche, sie nichts wie hin, dann die Reden, dann die Tränen, dann das Händchen, dann der Kaffee, dann war sie mein beziehungsweise ich ihr. Aber so unvollkommen, wie ich jetzt den Mund dieser unterm Wollhelm so blondblond herausquellenden Blondine abgehakt habe, darf ich nicht mit dem Leben, an dem ich entlangfilme, umgehen. Die Sensation war, daß dieser Mund, jedesmal wenn ich wieder hinschaute, ein anderer war. Dieser Mund tat, was er wollte, beziehungsweise der war ganz unwillkürlich ein Ausdruck dessen, was in dieser Person gerade vorging. Die denkt mit dem Mund, schoß es mir durch den Kopf. Oder sie fühlt mit dem Mund. Dann ist sie auch noch Schauspielschülerin. Also keimte der Plan, wenn du den und den Film hinter dir hast, filmst du an ihrem Leben entlang. Jetzt ist es so weit.
Das pochierte Ei, die Involtini von der Äsche und das Lammcarré mit Thymianpolenta kamen nicht zu kurz.
Wie heißt er nun, sein nächster Film? Sein nächster Film, werte Anwesende, heißt: Das Othello-Projekt . Das Budget stimmt schon fast, aber es fehlen eben die zwei Patrick-Millionen. Da läßt er noch einen, mit dem er’s gut meint, mitmachen. Er gesteht, wundgeschossen, aus mehreren Finanzwunden blutend, ist auch er desertiert, Astrion Pictures New York, für die laufen dort fast viertausend Videoläden, die sind mit einem Credit Letter fünfzigprozentig im Boot. Also kein Zahnarzt an Bord. Die sind ja jetzt allesamt hochseeschiffsgeil. Hahaha. Also zwei, zweieinhalb räumt er Herrn von Kahn ein, das Kleingedruckte macht Rudi-Rudij. Das ist sein Schlattenschammes alias Dramaturg alias Secretario. Rendite nicht unter zehn Prozent. Und das bei Lebzeiten. Mausi, hat dein Rodrigo etwas vergessen.
Mich, sagte sie.
Stimmt, sagte er, so lange wie in den letzten neunundvierzig Minuten hat Joni-Mausi in ihrem ganzen Leben noch nicht geschwiegen.
Du sollst mich vor Zeugen nicht Mausi nennen, sonst sag ich Theo zu dir, sagte Joni.
Dann seid ihr allein, rief er.
Und sie: Wenn ich Herrn von Kahn anschaue, muß ich sagen, Manieren, das hat auch was.
Haben Sie Alles paletti gesehen, fragte Strabanzer und ergänzte, weil Karl zögerte, mein Gott, meinen letzten Film.
Immer noch nicht, sagte Karl, als habe er sich längst vorgenommen, diesen Film anzuschauen.
Da hast du’s, sagte Joni.
Und er: Was?
Und sie: Was ich gesagt habe, Manieren.
Ach ja, Manieren, rief er, lackierte Leere. Sie sind nicht gemeint, mein Herr, nur Mau … Joni. Also Alles paletti . Los, Darstellerin, was spielen wir da.
Joni: Ich spiele Irina.
Strabanzer: Das Kußmäulchen. Mir hätte Kußmäulchen gereicht, aber nein, das Fräulein wollte auch noch einen Vornamen.
Joni: Einen, der mit I oder J anfängt.
Strabanzer: Sie spielt nur Rollen, die mit I
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