Angstfalle
Anke. »Mach es nicht so spannend. Immerhin bin ich hochschwanger. In dem Zustand darfst du mich nicht auf die Folter spannen.«
»Na gut – wenn du es unbedingt wissen willst!«
»Wir sind alle neugierig«, gestand Kullmann.
»Ich hatte meine Mutter am Tag vor Heiligabend angerufen und ihr gesagt, dass ich nach Dienstschluss zu ihr nach Köln kommen wollte. Sie freute sich, obwohl mein Besuch für sie eine Überraschung war. Sie meinte, zur Feier des Tages würde sie das Haus putzen und Kuchen backen.
Ich wollte sie davon abhalten, weil es mir peinlich war, dass sie sich meinetwegen so viel Arbeit machte. Aber meine Mutter war nicht mehr zu bremsen«, begann Erik zu erzählen. »Leider musste ich länger arbeiten. Trotzdem setzte ich mich nach Feierabend ins Auto und fuhr los. Die Fahrt war schrecklich. Vermutlich hatten alle den gleichen Plan – nämlich zum Weihnachtsfest nach Hause zu fahren. Mitten in der Nacht kam ich in Köln an. Im Haus war alles schon dunkel. Ich war todmüde und wollte nur noch in das Gästezimmer, das meine Mutter immer für mich bereithält. Also beschloss ich leise ins Haus zu schleichen.«
»Hast du einen Haustürschlüssel?«
»Ja! Auch meine Brüder haben einen. Meine Mutter denkt, dass sie uns so das Gefühl gibt, willkommen zu sein.«
»Schön«, murmelten Anke, Kullmann und Martha einstimmig.
»Als ich aufschloss, roch ich sofort das Putzmittel. Der Boden glänzte vor Sauberkeit, das konnte ich so gut erkennen, weil die Straßenlaterne direkt vor dem Haus in die Diele leuchtet. Auf dem Boden lagen in kleineren Abständen Zeitungen. Ich ahnte, warum die dort lagen. Es hatte geschneit – sogar in Köln – und die Schuhe waren voller Schneematsch. Damit wollte sie verhindern, dass ich meine Spuren auf dem frisch geputzten Boden hinterlasse.«
Wieder trank Erik einen Schluck Kaffee.
»Schlau wie ich nun mal bin, habe ich mich also bemüht, genau die Zeitungen zu treffen, damit ich keinen Dreck machte. Es fühlte sich merkwürdig an und gewundert habe ich mich auch über die vielen Zeitungen?«
»Ja und weiter?«
»Meine Mutter hatte mir doch am Telefon versprochen, Kuchen zu backen«, setzte Erik zur Erklärung an. Seine Kaffeetasse war leer, aber Martha stand nicht auf, um nachzuschenken. Sie war viel zu neugierig.
»Diese Kuchen hat sie in der Diele auf den Boden gestellt, damit sie abkühlten. Zum Schutz hat sie alles abgedeckt.«
Anke stutzte kurz, dann lachte sie lauthals los.
Kullmann und Martha stimmten ein.
Erik wartete geduldig, bis das Lachen abebbte, bevor er anfügte: »Mit dieser Maßnahme wollte sie auf Nummer Sicher gehen, wollte die Kuchen vor den Kindern meiner Brüder verstecken. Meine Brüder und ich haben früher so manchen Kuchen vor dem Fest aufgegessen. Deshalb hat sie die Diele als Aufbewahrungsort gewählt. Die ist für die kleinen Bengel tabu, weil sie von dort durch die Haustür auf die stark befahrene Straße laufen könnten.
Leider dachte sie nicht an mich. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, dass ich noch am gleichen Abend kommen würde.«
»Klasse!« Anke schnappte nach Luft, so sehr amüsierte sie sich. »Und wie hat dein Missgeschick das Weihnachtsfest beeinträchtigt?«
»Es gab zwar wenig Kuchen, aber dafür viel zu lachen.
Mein Fettnäpfchen wurde bestimmt hundert Mal erzählt. Es gibt niemanden in der Verwandtschaft oder Nachbarschaft, der nicht über meine Glanzleistung informiert worden wäre.«
Die kurze Pause nutzte Martha, um Kaffee nachzuschenken.
»Deine Mutter ist sicher Kummer gewöhnt«, schlussfolgerte Anke.
»Hoffentlich muss Lisas Mutter nicht genauso viel aushalten!«
Anke legte die Hand auf ihren Bauch, weil Lisa sich bewegte. Als sie Marthas sehnsüchtigen Blick bemerkte, nahm sie ihre Hand und legte sie darauf. Tatsächlich reagierte das Baby mit munterem Strampeln. Marthas Augen wurden feucht vor Rührung.
»Es muss schön sein, ein Kind in sich zu tragen.«
»Bis zu einem gewissen Grad, ja«, nickte Anke. »Aber, wenn man monatelang nur noch liegen darf, ist es nicht mehr so berauschend.«
»Aber das Leben, das in dir wächst, wiegt das doch auf!«, schwärmte Martha weiter.
Als Anke am nächsten Morgen von den Sanitätern abgeholt wurde, war sie traurig. Die Aussicht, viele Wochen im Krankenhausbett zu verbringen, war entmutigend, aber unumgänglich.
Der Abschied von den lieben Menschen fiel ihr schwer.
Es ist ja kein Abschied für immer, rief sie sich ins Gedächtnis.
Erst als der
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