Angstfalle
Worten erhob sich Kullmann und verließ das Zimmer.
Kurze Zeit später kehrte er in Begleitung von Erik Tenes zurück.
Erik war seit einem halben Jahr ein Arbeitskollege von Anke. Er hatte sich in der kurzen Zeit nicht nur als tüchtiger Kollege erwiesen, sondern war für Anke ein guter Freund geworden.
»Woher weißt du, wo ich bin?«, fragte Anke überrascht.
»Stell dir vor, ich arbeite bei der Kriminalpolizei. Ich finde alles heraus.«
Er ließ sich in einen Sessel fallen und freute sich über den dampfenden Kaffee, den Martha ihm anbot.
»Wenn das so ist, kann ich für die bösen Buben nur hoffen, dass sie an Weihnachten brav sind. Oder habt ihr viel zu tun?«
»Sie sind brav. Bernhard Diez macht Dienst im Büro – allein! Bis jetzt kam nur eine einzige Beschwerde, allerdings ganz besonderer Art.«
»Was heißt das?«
»Eine junge Frau hat Anzeige gegen einen Schneemann erstattet.«
Anke und Martha lachten, nur Kullmann schaute nachdenklich drein.
»Wie hieß die junge Frau?«
»Keine Ahnung. Aber wie der Schneemann heißt, das weiß ich zufällig: Er heißt Roland Berkes und ist gefährlich«, trieb Erik den Spott weiter.
»Ich weiß nicht, ob das wirklich lustig ist.«
»Warum? Liegt etwas gegen den Schneemann vor?«
»Ich hatte gestern Morgen eine seltsame Begegnung an der Tankstelle, wo ich frische Brötchen eingekauft habe«, erklärte Kullmann.
»An Tankstellen begegnet man häufiger seltsamen Menschen!«
»Spaß beiseite«, murrte Kullmann. »Dort bin ich meiner Nachbarin Beatrix Reuber begegnet. Sie sprach davon, dass merkwürdige Dinge um ihr Haus herum geschehen. Unter anderem erwähnte sie einen Schneemann. Ist das die Frau, die Anzeige erstattet hat?«
»Ja! So heißt sie.«
»Welche Nachbarin soll das sein?«, überlegte Martha. »Neben uns ist ein Restaurant und auf der anderen Seite ist der Grumbachtalweg.«
»Genau in diesem Weg wohnt die junge Frau. Sie lebt allein im Haus ihrer verstorbenen Eltern. Es ist wie mein Haus ein Bauwerk aus der Jahrhundertwende, eines der wenigen, das die schweren Bombenangriffe 1944 auf Saarbrücken überstanden hat. Leider gibt es nicht mehr viele Bauten aus der Zeit Kaiser Wilhelms, deren Ausdrucksform im Stil der Neurenaissance und des Jugendstils gehalten wurde. Der 5. Oktober 1944 richtete die größten Schäden des gesamten Krieges in Saarbrücken an.«
»Warum belastest du unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest mit diesen traurigen Geschichten vom Krieg? Wir sollten glücklich und dankbar sein, dass wir hier zusammensitzen können!«
»Das bin ich auch, Liebes!«
»Sind es die Erinnerungen deines Vaters an das Weihnachtsfest auf den Spicherer Höhen?«, hakte Anke nach.
»Das hatte für mich nicht die gleiche Bedeutung wie für meinen Vater. Meine Dankbarkeit rührt aus einem anderen Kriegsjahr, nämlich Weihnachten 1944«, antwortete Kullmann. »Mein Vater war verwundet aus Stalingrad zurückgekommen. Seine Verletzungen machten es unmöglich, uns bis zum nächsten Luftschutzbunker in Sicherheit zu bringen. Deshalb blieben wir bei jedem Alarm, der im Jahr 1944 ausgelöst wurde, im Haus zurück. Wir hatten großes Glück, dass es nicht getroffen wurde.«
»Und dadurch ist Weihnachten für dich wohl ein Fest des Dankes, weil ihr den Krieg überstanden hattet und die Feiertage gemeinsam verbringen konntet.«
Kullmann nickte mit einem nach innen gerichteten Blick.
»Genug der traurigen Geschichten aus dem Krieg«, beendete Martha das Thema. »Du hast das Gespräch in eine ganz andere Richtung gelenkt. Erik sprach gerade von einem seltsamen Fall.«
»Über die Arbeit wollte ich eigentlich nicht sprechen«, gestand Erik.
»Dann erzähl uns, wie du die Weihnachtsfeiertage verbracht hast«, forderte ihn Anke auf.
»Ganz langweilig«, murmelte er. »Bestimmt nicht so interessant wie ihr.«
»Erzähl trotzdem!«
»Ich war bei meiner Mutter in Köln«, antwortete Erik stockend.
Anke wurde hellhörig.
»Nun rede schon! Wie war’s?«
»Wie immer.«
»Das glaube ich dir nicht. Raus mit der Sprache!«
Kullmann und Martha schauten abwechselnd von Anke zu Erik.
Erik meinte ausweichend: »Ein schöner Baum ist das. Ich habe lange keinen Tannenbaum mit echten Kerzen gesehen. Macht einfach mehr Atmosphäre.«
»Nicht ablenken«, grinste Anke.
»Ich lenke doch nicht ab«, murrte Erik, griff nach seiner Kaffeetasse und verbrannte sich die Lippen, weil er zu hastig trank.
»Autsch!«
»Gott straft die kleinen Sünden sofort«, neckte
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