Angstfalle
zeigen, dass es noch mehr auf der Welt gibt als meine vier Wände«, lachte Anke. »Aber jetzt stehe ich hier vor deiner Treppe und bin ratlos!«
»Das bist du nicht lange. Ich werde mit anpacken, dann tragen wir den Kinderwagen nach oben«, beschloss Kullmann tatenfreudig. »Martha wird Augen machen, wenn sie euch beide kommen sieht!«
So war es auch. Marthas Gesicht wurde hochrot vor Aufregung und Freude. Schnell legte sie ihre Schürze ab, die sie immer umband, wenn sie im Haus saubermachte. Sie räumte alles, was den Weg versperrte zur Seite, sodass Anke ungehindert bis ins hintere Esszimmer fahren konnte. Dort legte Anke ihre warme Daunenjacke, Handschuhe und Mütze ab und schälte ihre Tochter aus der mollig warmen Verpackung.
»Tut das gut!«, schwärmte sie. »Alles zugeschneit, die Luft klar und kalt, mein Töchterchen so brav. Ist das Leben nicht schön?«
Gern ließ sie sich von Kullmann das Baby abnehmen, während sie sich gemütlich auf dem Sofa niederließ.
Kullmann bewies schon großes Geschick im Umgang mit Lisa. Stolz trug er die Kleine durch die Zimmer und redete dabei unentwegt. Zunächst hörte Anke nicht hin, bis sie Wortfetzen aufschnappte, wie »ich bin wirklich alt geworden« oder »hoffentlich nimmst du mich später noch ernst, wenn ich mich so weiterentwickle«, bis es Anke zu bunt wurde.
»Was erzählst du der Kleinen für einen Mist?«
Kullmann schaute Anke nur kurz an. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Lisa, während er antwortete: »Ich habe mir herausgenommen, mich in die Arbeit meiner ehemaligen Abteilung einzumischen.«
»Schon wieder?«
»Ich habe mir Sorgen um Beatrix Reuber gemacht. Sie war nicht bei der Arbeit und in ihrem Haus brannte einige Abende lang kein Licht«, erklärte Kullmann. »Daraufhin habe ich bei Forseti angerufen und ihm mitgeteilt, dass die junge Frau möglicherweise in Gefahr schwebt.«
Anke ahnte etwas: »Und was kam dabei heraus?«
»Sie fanden Trixi schlafend auf dem Sofa vor!«
Kullmanns Blick verriet Anke, wie er sich fühlte. Sie selbst hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken.
Doch dann begann sich das kleine Mädchen in Kullmanns Armen zu bewegen, als wolle sie sich frei strampeln. Dabei quäkte sie: Lisa hatte Hunger!
Kullmann freute sich über die Ablenkung und legte Anke ihre Tochter auf den Arm.
Dann ließ er Mutter und Tochter allein im Zimmer zurück.
Anschließend servierte Martha das Mittagessen.
»Wenn ihr schon mal hier seid, können wir auch hier essen«, beschloss sie kurzerhand.
»Ab sofort werde ich regelmäßig mit Lisa spazieren gehen«, nickte Anke. »Dann müsst ihr beide nicht immer mit meiner kleinen Wohnung vorlieb nehmen!«
»Das macht uns zwar nichts aus«, beteuerte Kullmann. »Aber frische Luft hat noch keinem geschadet!«
Zum Essen gab es an diesem Tag Kartoffelsuppe mit ausgelassenem Speck darin. Dazu servierte Martha Kartoffelreibekuchen und Apfelkompott. Anke lief schon beim Anblick das Wasser im Mund zusammen.
Am späten Nachmittag tischte Martha Kaffee und selbstgebackenen Apfelkuchen auf. Während sie vor ihren dampfenden Tassen saßen, schaute Anke durch das Fenster zur Terrasse. Der Schnee war an dieser Stelle unberührt. Schön sah es aus. Der Anblick konnte sie in Träumereien versetzen. Die Bäume waren weiß bedeckt, die Zweige hingen unter der Last des Schnees tief herunter.
Es hatte wieder angefangen zu schneien. Ganz kleine Schneeflöckchen wirbelten durch die Luft. Das Tageslicht sah trübe aus. Anke schaute sich den Himmel an. Er war düster und grau. Es sah nach viel Schnee aus. Außerdem wurde es langsam dämmrig, der Tag neigte sich dem Ende entgegen. Sie hatte nicht bemerkt, wie die Zeit vergangen war.
»So wie der Himmel aussieht, werde ich mich wohl schleunigst auf den Weg machen müssen«, grinste Anke. »Sonst werde ich noch eingeschneit und muss tagelang bei euch wohnen bleiben!«
»Oh wie schrecklich«, schnappte Kullmann nach Luft. »Schnell raus hier!«
Gemeinsam trugen sie den Kinderwagen hinunter bis auf den Bürgersteig. Anke hatte eine Regenschutzfolie über die Vorderseite gespannt, damit Lisa keine Schneeflocken ins Gesicht wehten. Sie selbst trug eine Kapuze auf dem Kopf. Sie fühlte sich so dick eingepackt, dass sie Mühe hatte, sich zu bewegen. Träge machte sie sich auf den Weg. Den Kinderwagen über den schneebedeckten Bürgersteig zu schieben, war nicht einfach. Sie fühlte sich wie im Kampf gegen die Schneemassen. Bei dieser Vorstellung musste sie
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