Angstfalle
lachen. Der Schnee tat ihr gut, stellte sie fest. Er beflügelte sie, gab ihr neuen Schwung und neue Energie.
Die wenigen Autos, die unterwegs waren, fuhren im Schneckentempo durch die Kaiserstraße. Es war immer noch ungewöhnlich still in einer Gegend, wo normalerweise der Verkehr niemals stillstand. Bedächtig bog sie in den Grumbachtalweg ein. Auf der linken Seite sah sie große Fußspuren in einer ansonsten unberührten Schneeschicht. Sie führten genau auf das Haus zu, das sich auf der anderen Seite des Grumbachs befand, das Haus von Beatrix Reuber.
Obwohl das Tageslicht durch die Schneeflocken verschluckt wurde, war es nicht dunkel. Die weiße Masse spendete so viel Licht, dass die Straßenlaternen fast überflüssig waren. Der Schnee knirschte unter den Reifen des Kinderwagens. Gelegentlich rutschte Anke beim Anschieben nach hinten weg, obwohl sie Schuhe mit Profilsohlen angezogen hatte. Die Temperaturen waren gesunken, der Schnee begann zu frieren. Nun wurde es höchste Zeit, dass sie nach Hause kam.
Als sie an den Parkplatz gelangte, hörte sie ein lautes Poltern. Diesem Geräusch folgte ein Schrei. Erstaunt horchte Anke auf. Wo kam dieser Schrei her, überlegte sie. Benötigte jemand Hilfe?
Wieder ein Schrei, dieses Mal hörte es sich aber ganz anders an. Sie richtete ihren Blick auf das Haus von Beatrix Reuber. Dort brannte Licht – in allen Fenstern! Die Haustür stand offen. Was geschah dort?
Kullmann hatte sich lächerlich gemacht, weil er der jungen Frau helfen wollte, fiel Anke ein. Nun wollte sie sich nicht auch noch blamieren. Immerhin musste sie wieder in ihrer Dienststelle arbeiten – Kullmann nicht.
Also beschloss sie, den Heimweg fortzusetzen. Da hörte sie schon wieder ein lautes Krachen, begleitet von einem Schmerzensschrei. Nach einem Liebesspiel hörte sich das nicht an. Anke konzentrierte sich darauf, den Kinderwagen sicher in den Eingang des Appartements zu schaffen. Sie war nicht geübt darin. Es war schließlich auch das erste Mal, dass sie mit ihrer Tochter unterwegs war.
Kaum war sie in ihrer Wohnung angekommen, hatte sie das Treiben am Haus von Beatrix Reuber vergessen, denn Lisa hatte Hunger und machte das auch unmissverständlich klar. Zufrieden ließ Anke sich mit ihrer Tochter auf dem Sofa nieder.
22
Trixi musste zu Fuß nach Hause gehen. Es schneite zu stark. Erschöpft durch den beschwerlichen Marsch durch den Schnee kam sie zu Hause an. Sie konnte von Glück reden, dass ihr Chef sie nach ihrem zweitägigen Schlaf nicht entlassen hatte. Was in dieser Zeit passiert war, wusste Trixi nicht. Sie hatte einen Black out. Die Ungewissheit machte sie ruhelos. Sie lief hin und her, bis sie zu dem Entschluss kam, oben weiter aufzuräumen. Sie nahm sich vor, Fritz vorzuschlagen bei ihr zu wohnen. Nur so konnten diese Überraschungen ein Ende finden. Der Plan spornte sie an.
Es gab immer noch genug zu tun. Weitere Abfalltüten entsorgte sie in der Mülltonne. Auf dem Rückweg ließ sie die Haustür offen, weil sie beide Hände zum Tragen brauchen würde. Als sie die Treppe hinunterging, stand eine riesengroße Gestalt im Türrahmen. Trixi erschrak, stieß einen lauten Schrei aus und ließ alles fallen, was sie in ihren Händen trug.
»Wenn hier einer einen Grund hat zu schreien, dann bin ich das«, hörte sie Bruno Dold.
Sollte das niemals enden?
Ruckartig setzte er sich in Bewegung. Er stampfte zielstrebig auf sie zu. Was sollte sie tun? Gegen diesen Koloss war sie machtlos. Hastig drehte sie sich um und rannte nach oben. Bruno folgte ihr.
»Was soll das?«, rief Trixi. »Du machst mir Angst!«
»Die sollst du auch haben, du Miststück«, blaffte er.
»Was ist passiert?«
»Das fragst du noch?«, schrie Bruno so aufgebracht, dass sein Gesicht dunkelrot wurde.
Mit einer Schnelligkeit, die Trixi ihm niemals zugetraut hätte, rannte er auf sie zu, nahm gleich drei Treppenstufen auf einmal. Bei diesem Tempo hatte Trixi keine Chance, ihm zu entkommen. Sie musste sich anders helfen. Flink versteckte sie sich hinter dem Treppenaufgang. Als Bruno oben ankam, holte sie weit aus und schlug mit dem zerborstenen Brett, das sie in ihrer Hast greifen konnte zu. Bruno stieß einen lang gezogenen Schrei aus, purzelte rückwärts die Treppe hinunter und landete hart auf dem Boden des Flurs im Erdgeschoss.
Trixis Herz schlug wie wild. Sie sah ihn reglos am Boden liegen. Vielleicht war er tot, überlegte sie. Ein Hoffnungsschimmer keimte auf.
Mit zitternden Knien folgte sie ihm
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