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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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müssten. Wenn sie ehrlich war, tat sie das eher zu ihrem eigenen Wohl als zu dem der Kinder. Sie sehnte sich nach ihrer Bettdecke. Sie wollte sich darunter verstecken, bis es Morgen war und sie endlich losfahren konnten.
    Stattdessen musste sie noch den Rest des Nachmittags hinter sich bringen. Sie taute eine Portion Hühnerfond auf und kochte daraus mit einer Handvoll Eierfadennudeln eine Suppe für die beiden Kranken. Um ihren Plan hieb- und stichfest zu machen, zerstieß sie im Mörser noch vier der grünen Kräuterpillen und rührte das Pulver in Gareths Portion hinein.
    »Das sollte ihn fürs Erste beschäftigen«, sagte sie zu dem Kätzchen, das miauend zu ihr aufsah, weil niemand es gefüttert hatte. »Glaub bloß nicht, dass du mich damit rumkriegst«, fügte sie hinzu, ohne seinem kläglichen Gemaunze Beachtung zu schenken. »Du bist eine Ausgeburt des Teufels. Genau das bist du.«
    Sie holte ein Tablett und breitete eine ihrer wunderhübschen, mit Spitze gesäumten Servietten aus irischem Leinen darauf aus. Die Servietten waren einige der wenigen Gegenstände, die sie aus dem Haus ihrer Eltern mitgenommen hatte, nachdem sie von ihnen auf die Straße gesetzt worden war. Sie hatte sie kaum je benutzt.
    Sie strich die Falten glatt. Ihre Eltern hatten sie rausgeworfen.  Rose dachte darüber nach. Sie hatte Schande über die Familie gebracht, also hatten sie sie – ihr einziges Kind – einfach aus dem Haus gejagt. Sie hatten sie mit ihrem Problem sitzenlassen, und niemand war da gewesen, der ihr geholfen oder sich um sie gekümmert hätte. Niemand außer Polly.
    Wie hatten sie so etwas tun können? War es da etwa ein Wunder, dass sie nicht zurück nach Brighton wollte? Aber dafür war es nun zu spät. Außerdem hatte sie inzwischen einen Plan.
    Sie schöpfte Gareths Suppe in eine der antiken Biot-Schüsseln – ihre Lieblingssuppenschüsseln – und platzierte sie auf der Serviette. Daneben stellte sie ein großes Trinkglas mit Wasser und eine kleine Vase mit Geißblatt aus dem Garten. Schließlich legte sie noch einen schweren silbernen Suppenlöffel aus dem alten Besteckkasten dazu, den Pam und John ihrem Sohn als Friedensangebot vermacht hatten. Wenn es Gareth einigermaßen gutging, würde er sich über das sorgfältig ausgewählte Arrangement freuen. Hoffentlich so sehr, dass er die ganze Suppe aufaß, egal, wie bitter sie schmeckte.
    Rose stieg die Treppe hinauf und klopfte leise an Annas Tür.
    Sie hörte Gareth etwas murmeln, also öffnete sie und trat ein. Er war aschfahl im Gesicht und hatte dunkle Ringe unter den Augen, aber er war wach. Was für ein Baby, dachte Rose. Was für ein Jammerlappen.
    »Ich habe dir ein bisschen Hühnersuppe gemacht.«
    »O weh.« Er versuchte sich an einem Lächeln.
    »Iss nur, das gibt dir Kraft.« Sie stellte das Tablett vor ihm aufs Bett.
    »Sieht hübsch aus«, sagte er und nahm den Löffel in die Hand.
    Hoffentlich glaubte er nicht, dass sie sich mit dem Tablett für ihren Ausbruch vom Morgen entschuldigen wollte. Aber die Möglichkeit musste sie in Kauf nehmen, wenn sie ihn aus dem Weg haben wollte. Zufrieden sah sie zu, wie er erst einen, dann noch einen Löffel Suppe schlürfte.
    »Ich bringe Polly auch eine Schüssel«, sagte sie und drehte sich um.
    »Wie geht’s ihr denn?«
    »Ganz passabel. Ein bisschen besser als dir. Sie will auf jeden Fall morgen mit nach Brighton kommen.«
    »Gut«, sagte er. »Ihr müsst fahren. Mach dir um mich kein e Sorgen.«
    Das hättest du wohl gern, dachte Rose.
    Polly schlief, als Rose ein zweites, weniger liebevoll angerichtetes Tablett zum Nebengebäude hinauftrug. Sie stellte es neben dem Bett auf dem Boden ab. Mit ein bisschen Glück würde Polly darüber stolpern, wenn sie aufstand, und sich das Nachthemd mit Suppe bekleckern.
    Rose war ins Haus zurückgekehrt und zog sich gerade die Barbourjacke über, um zu Simon zu gehen und die Kinder abzuholen, als sie hörte, wie Annas Zimmertür aufgerissen wurde und Gareth durch den Flur ins Bad stürzte. Er hatte es so eilig, dass ihm keine Zeit mehr blieb, die Tür zu schließen. In tiefer Genugtuung lauschte sie, wie er sich verausgabte. Bevor sie ging, zündete sie noch eine Jo-Malone-Duftkerze auf dem Küchentisch an, um den Gestank zu überdecken.
    *
    Es dauerte eine Weile, bis die Kinder endlich eingeschlafen waren. Sie waren so aufgekratzt wegen der bevorstehenden Reise, dass sie alles über die Stadt, ihre Geschichte und die besten Karussells am Pier wissen wollten.

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