Angsthauch
frisch, kühn, aber trotzdem kommerziell. Kunst in Vollendung.
Blieb die Frage nach dem Modell.
Rose sah zum zerwühlten Sofabett hinüber, das an der gegenüberliegenden Wand stand. Auf dem Boden unmittelbar davor lag ein Paar schwarzer Strümpfe, das sie von den Bildern wiedererkannte. Sie ging hin, hob einen auf und ließ sich den seidigen Stoff durch die Finger gleiten. Unter den Strümpfen kam ein schwarzes Höschen zum Vorschein. Seide. Sie roch daran, wie sie es tat, wenn sie Annas Unterwäsche irgendwo herumliegen sah, um festzustellen, ob sie gewaschen werden musste. Dieses Höschen hatte ganz ohne Zweifel eine Wäsche nötig, aber der Geruch hatte nichts mit Annas harmlosem Kleinmädchen-Uringeruch gemein. Er war schwer und moschusartig. Im Schritt des Höschens war ein weißlicher Schleimfleck zu sehen, als wäre es im Eifer des Gefechts in seine Trägerin hineingedrückt worden …
Rose ließ sich auf die Knie nieder und roch am Bett, auf dem sie lange schwarze Haare fand. Mein Gott, dachte sie, das muss ja dringend neu bezogen werden. Es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, nicht die Laken abzuziehen und sie für die Schmutzwäsche zu einem Bündel zusammenzuknüllen.
Sie stand auf und versuchte, sich die Szene vorzustellen: Polly, wie sie auf dem Rücken lag; Gareth, wie er mit ihr genau das machte, was er ein paar Wochen zuvor mit Rose gemacht hatte. Ihr knochiger Körper an seiner breiten Brust. Er, wie er das Gesicht unterhalb ihres konkaven Bauchs zwischen ihren Schenkeln vergrub.
Die Zugfeder in ihrem Inneren, die so lange unter Spannung gestanden hatte, wurde losgelassen. Rose griff nach einem Kissen und schlug es wieder und wieder aufs Bett, bis es platzte und die winzigen Daunen um sie herumwirbelten wie von einer Engelschar, so wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie zerrte die Laken vom Bett und drückte eine Tube teurer Farbe nach der anderen über ihnen aus. Dann schleifte sie die farbverschmierten Laken quer durch den Raum wie nackte Mädchen in den Sechzigern beim Actionpainting. Die Federn wehten hinter ihr her, trudelten zu Boden und blieben in der Farbe kleben.
Eine Minute lang hielt sie schwer atmend inne und betrachtete ihr Werk. Dann ging sie zur Schublade, in der Gareth sein Werkzeug aufbewahrte. Sie suchte darin herum, bis sie ein Teppichmesser gefunden hatte. Als Erstes nahm sie sich das stinkende, befleckte Höschen vor und schnitt es in Fetzen. Dann machte sie sich an den Stapel mit Zeichenpappe – die besten Werke, die Gareth je geschaffen hatte – und zerschlitzte jedes einzelne Bild, bis sie von einem Berg aus Papierschlangen umgeben war. Als Letztes ging sie zu den großformatigen Öl- und Acrylgemälden von Polly, die Gareth an den zwei freien Wänden des Ateliers aufgestellt hatte und die Rose erst jetzt auffielen. Jedem einzelnen stach sie die seelenvollen Augen aus und hinterließ schwarze Löcher dort, wo zuvor Gareths Arbeit gewesen war, sein Blick, seine Inbesitznahme. Ihr erschien es nur angemessen: Es war ihre Rache im Namen seiner armen leiblichen Mutter für das, was er ihr mit BlutLinie angetan hatte.
Danach wischte Rose sich Leinwandreste und Farbe von den Händen, schaltete das Licht aus, verschloss die Tür und warf den Schlüssel in den Teich. Von solchen alten Schlüsseln gab es keine Kopien. Selbst falls es Gareth also gelingen sollte, aus dem Bett aufzustehen, bevor sie nach Brighton aufbrachen, hätte sie sich damit genügend Zeit verschafft, ihren Abgang zu planen.
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R ose sprang kurz unter die Dusche, dann machte sie sich daran, für die Brighton-Reise zu packen. Sie begann, indem sie eine Liste schrieb, auf der sie neben Feuchttüchern, Windeln sowie Wechselsachen für sich, Flossie und Anna auch »Rüstung, Bazooka, Tretminen (zwei)« notierte.
Indem sie die Waffen wegließ, gelang es ihr, alles in einem großen Rucksack und einem Trolley unterzubringen. Nicht gerade das, was man unter Reisen mit leichtem Gepäck verstand, dennoch war es ein befreiendes Gefühl, zu wissen, dass alles, was sie und ihre Töchter zum Leben brauchten, in zwei Taschen passte. Anschließend packte sie noch zwei kleinere Trolleys für die Jungs. Sie ging davon aus, dass sonst niemand daran denken würde, und es wäre den beiden gegenüber nicht fair, in dieser Sache starrsinnig zu bleiben.
Sie rief Simon an, um sich nach den Kindern zu erkundigen und ihm mitzuteilen, dass sie nicht zum Filmgucken bleiben würden, weil sie früh schlafen gehen
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