AnidA - Trilogie (komplett)
wenn ich an diesen Punkt meiner Überlegungen kam, wurde mir übel. Ich hatte es inzwischen wohl oder übel akzeptiert – akzeptieren müssen – dass ich nicht verrückt war, sondern wirklich hier, in einer Welt, die keine der Welten des Kaiserreiches war. Es fiel mir noch immer schwer, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass in dieser Ebene der Realität so etwas wie das Kaiserreich überhaupt nicht existierte, obwohl Tallis sich jede erdenkliche Mühe gegeben hatte, mich davon zu überzeugen.
Manchmal liebäugelte ich noch immer mit dem Gedanken, dass ich in Wirklichkeit vollkommen durchgeknallt irgendwo auf Cairon herumhing. Oder bei irgendeinem seltsamen meditechnischen Experiment im Lager erfolgreich von meinem klaren Bewusstsein abgetrennt worden war. Seltsamerweise waren es ausgerechnet die Anweisenheit von Dix und die Selbstverständlichkeit, mit der er sich mit unserer bemerkenswerten Lage abfand, die mich hin und wieder für einen Moment davon überzeugten, dass ich durchaus bei klarem Verstand und eben nur in einer fremden Welt war.
Wobei, wenn man Tallis' Argumenten folgte, diese Welt mir eigentlich alles andere als fremd sein sollte, sondern vielmehr meine Heimat. Und ich hatte hier Familie – ich warf einen unauffälligen Blick zur Seite, auf die Frau, die meine Tante war und die meiner Großmutter so erschreckend ähnlich sah. Sie bemerkte natürlich meinen Blick und lächelte mir aufmunternd zu. Ich zwang mich dazu, zurückzulächeln. Himmel, sie hatte mir schließlich nichts getan. Im Gegenteil.
Sie nickte kurz, als hätte ich etwas zu ihr gesagt, und wandte sich im Sattel um. Ihre weiße Stute schnaubte unruhig, und sie tätschelte ihr den Hals. »Tallis«, rief sie und wartete, bis meine alte Freundin zu uns aufgeschlossen hatte. Tallis zwinkerte mir zu und sah dann Ylenia fragend an.
»Was denkst du, Nestälteste«, begann Ylenia in förmlichem Ton. »Wollen wir heute Abend noch in Tel'krinem eintreffen, oder erfordert es die Höflichkeit den Müttern gegenüber, bis zum Sonnenaufgang zu warten?«
»Die Mütter wissen, dass wir kommen«, erwiderte Tallis lächelnd. »Sie werden uns willkommen heißen, auch wenn wir erst im Nabel der Nacht bei ihnen eintreffen.«
Ich konnte mir einen erleichterten Seufzer nicht verkneifen. Endlich war die ersehnte längere Ruhepause für meine wunde Kehrseite in Sicht. Hinter uns lachten Mellis und Dix über einen Witz, den der kleine Kerl gerissen hatte. Ich war selbst erstaunt darüber, dass ich Eifersucht darüber empfand, dass die beiden sich derart gut zu verstehen schienen.
»Was erwartet uns dort?«, fragte ich, um mich von dem Schwatzen und Gelächter hinter mir abzulenken. Ylenia sah mich derart überrascht an, dass ich für einen Moment unsicher wurde. So idiotisch war meine Frage doch eigentlich gar nicht gewesen. Dann ging mir auf, dass ich mich zum ersten Mal an meine Tante gewandt hatte, ohne dass sie mich zuvor dazu aufgefordert hatte. Heiliger Kometenschwanz, was war ich in der letzten Zeit für ein unleidlicher Stinkstiebel gewesen. Wenn ich darüber nachdachte, wie ich meine – hm – Schwester behandelt hatte, schämte ich mich nicht zu knapp. Sie konnte schwerlich dafür verantwortlich gemacht werden, dass ich den Gedanken an eine Zwillingsschwester derart unerträglich fand. Ich blickte flüchtig auf meine linke Hand hinab und auf den schmalen Silberring, der seit kurzem meinen Ringfinger zierte. Von meiner Großmutter, hatte Ida gesagt, und Ylenia hatte es bestätigt. Nun ja. So hatte ich wenigstens noch etwas mehr als nur eine Erinnerung an Großmutter. Ida hatte nicht mal das, nur den Ring.
»Was uns dort erwartet«, antwortete Ylenia sehr nachdenklich. »Kind, dir das zu erklären ...« Sie seufzte. »Tallis, wie würdest du meiner Nichte, die noch nicht einmal wirklich begriffen hat, was eine Grennach ist, das Große Nest erklären?«
Tallis lachte, wobei ihre schwarzen Augen beinahe in den vergnügten Falten ihres Gesichtes verschwanden. »Du unterschätzt Eddy wirklich«, sagte sie fröhlich. »Sie mag vielleicht nicht wissen, wer die Grennach sind, aber sie war mit mehr Vertreterinnen nichtmenschlicher Rassen befreundet, als du je in deinem Leben kennen gelernt hast. Sie wird auch das Große Nest akzeptieren als das, was es ist, da bin ich sicher.« Sie zwinkerte mir zu, und ich nickte etwas verkniffen zurück. Der unausgesprochene Tadel in Ylenias Worten hatte mich getroffen.
»Das Große Nest ist die älteste Siedlung
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