AnidA - Trilogie (komplett)
begreifen. Ihr schwindelte, und sie musste sich an der Schulter ihrer Nichte festhalten. »Wer ...«, begann sie schwach.
»Meine Großmutter. Sie konnte es nicht riskieren, eine Hexe aufwachsen zu lassen, deren Fähigkeiten die ihren noch übertreffen und die ihr das Schwarze Herz abspenstig machen würde. Großmutter wusste schon vor meiner Geburt, dass Ter'nyoss ihr Schicksal bestimmte, und dass ich die Einzige war, die ihr gefährlich werden könnte. Sie hat mich gespalten und einen Teil von mir mit sich genommen. Unschädlich, ohne magische Kräfte, unwissend.«
Ylenia schlug die Hände vors Gesicht. AnidA saß schweigend da und rieb immer noch nachdenklich über den Ring. Ihr Blick schweifte zu der Zitadelle. »Ich bin eine Gefahr für euch«, sagte sie unvermittelt.
Ylenia blickte verstört auf. »Wie meinst du das? Du kannst es lernen ... Wir können dir zeigen, deine Kräfte zu beherrschen. Ich werde dich alles lehren, was ich weiß, Kind.«
AnidA schüttelte beherrscht den Kopf. Ihre Augen wichen nicht von der düsteren Ruine im See. »Ich habe mit Ter'nyoss getanzt«, sagte sie langsam. »Ihr Kuss war süß. Ich kann euch alle vernichten, Weiße Hexe. Ihr könnt mich nicht töten, aber ihr könnt mich meiden. Das Beste wird sein, ich schließe mich für immer in der Zitadelle ein.«
Ylenia schwieg erschüttert. Sie legte ihre Hand auf die ihrer Nichte, die kurz zuckte, als wolle sie sie zurückziehen, die Berührung dann aber geschehen ließ. »Gibt es keinen anderen Weg?«, fragte Ylenia bedrückt.
AnidA seufzte leise. Ihr Nacken bog sich wie unter einer schweren Last. »Du weißt nicht alles, Tante. Ich trage etwas, wonach dein Orden schon lange sucht. Es gibt mir mehr Macht, als eine einzelne Frau besitzen sollte.«
Sie hob die Hand und zog den Lederriemen über den Kopf, an dem der abgenutzte kleine Beutel hing. Sie öffnete ihn und ließ das strahlende Herz der Welt in ihre Hand gleiten. Ylenia atmete scharf ein, und Tränen schossen in ihre Augen. Sie hob die Hand, um Ter'terkrin zu berühren, und hielt zögernd inne. Um Erlaubnis heischend blickte sie ihre Nichte an. AnidA starrte blicklos auf das Kleinod nieder.
»Ach«, sagte sie schwach und verloren. Erkenntnis dämmerte in ihren Augen und ließ sie hell aufstrahlen. Sie hob ruckartig den Kopf und blickte zum verhängten Himmel. »Das ist die Lösung? Du verlangst einen hohen Preis, Ter'terkrin.« Über ihr Gesicht liefen Tränen, die sie nicht fortwischte.
»Was hast du?«, fragte Ylenia besorgt. »Kind, was sollst du tun?«
AnidA lächelte, während noch immer Tränen über ihr Gesicht liefen. Sie ließ das Herz der Welt sanft in ihren Schoß gleiten und legte die Hände ineinander. Behutsam drehte sie den Ring an ihrem Finger, schob ihn über den Knöchel und zog ihn ab.
Ylenia keuchte und bedeckte ihre Augen. Die Gestalt AnidAs verschob sich auf Übelkeit erregende Weise, verdoppelte sich wie von einem Zerrspiegel wiedergegeben. Zwei Köpfe reckten sich in stummer Qual, vier Arme streckten sich flehend aus, zwei Rücken drohten unter den grausamen Krämpfen zu brechen. Die Schreckensgestalt mit zu vielen Gliedmaßen krümmte sich schließlich am Boden, die Augen vor Grauen und Schmerz hervorquellend. Die Münder waren weit aufgerissen, und endlich brach sich ein entsetzlicher Schrei Bahn aus gepeinigten Kehlen.
Ylenia kniete hilflos neben dem sich windenden Geschöpf und wob einen Zauber, der neben der Gewalt dessen, was dort vor sich ging, wirkungslos verdampfte wie ein Regenschauer in der Sonnenglut der Wüste.
Ein Vogel krächzte. Das ineinander verklammerte Bündel Mensch am Boden wurde schlaff und still. Ylenia tastete angstvoll nach einem Handgelenk, fühlte den schwachen, aber regelmäßigen Puls und schloss mit einem erleichterten Seufzer die Augen. Im nassen Sand des Ufers erlosch der grünliche Glanz des unheilvollen Ringes, er lag matt und stumpf am Boden. Ylenia umwickelte ihre Hand, griff vorsichtig nach dem Ring und schob ihn in ihre Tasche. Dann befeuchtete sie einen Zipfel des Umhangs und wischte behutsam über die schweißbedeckten, bleichen Gesichter. Augenlider flatterten, und ein matter, dunkler Blick traf das besorgte Gesicht der Weißen Hexe.
»Tante Ylenia«, murmelte eine schwere Zunge. Hände lösten sich von anderen Händen und stemmten sich schwach gegen den Boden. Ylenia half ihrer Nichte, sich aufzusetzen. Die andere lag immer noch reglos im nassen Sand, und die Erste zog sie mit einer zärtlichen
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