AnidA - Trilogie (komplett)
die Fremden. Sie starben unter schrecklichsten Qualen, bis auf ein Mädchen und einen Jungen, die in den Wurzeln des ältesten Baumwesens Schutz gesucht hatten. Als die Schreie der Sterbenden nach einer Ewigkeit endlich verstummt waren, krochen die Kinder aus ihrem Versteck und flohen. Doch etwas von dem Feuer hatte auch sie erfasst, und von da an waren sie und all ihre Nachkommen schwach und sterblich.
Die Kletterer-Frau, die das Schreckliche entfesselt hatte, triumphierte. Doch ihre Freundinnen und ihre Familie wandten sich voller Grauen von ihr ab. Sie verbannten sie mitsamt dem Schwarzen Herzen für alle Zeiten aus ihrer Heimat. Die Frau verfluchte sie und ging zurück, woher sie gekommen war. Und die Kletterer machten sich an die mühevolle und traurige Arbeit, die verkohlten Leichen ihrer einstigen Feinde und späteren Freunde zu begraben. Von jener Zeit an waren sie wieder allein in den Bergen.
Eine alte Legende der Grennach
~ 1 ~
Nach der staubigen und stickigen Hitze in den schmalen Gassen der Unterstadt war es ein kleiner Schock, in die feucht anmutende Kühle des Eingangs zu treten. Der Ziegelboden sandte Kältewellen durch die dünnen Sohlen seiner Sandalen, und die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf. Korben rieb fröstelnd über die Ärmel seiner dünnen Tunika und blieb trotz seiner Eile einige Atemzüge lang stehen. Durch die schmalen Fensterschlitze hoch über seinem Kopf stachen Lichtspeere, in denen silbrige Stäubchen flimmerten, und grob behauene Steine schälten sich nach und nach aus dem Dämmerlicht, als seine Augen sich nach der gleißenden Helle der späten Mittagssonne an das Dunkel des Torhauses anpassten.
Korben betrat mit schnellen Schritten den düsteren Durchgang zum Hauptgebäude. Seine Sandalen klatschten laut und unregelmäßig auf den alten Fliesenboden, und im Laufen zerrte er achtlos die beschattende Kapuze in den Nacken. Er fuhr einige Male mit den Fingern durch sein glänzend schwarzes Haar, das wie zerzaustes Rabengefieder emporstand, und klopfte sich hastig den Staub von der hellen Hose, ehe er vor der Tür seines Lehrmeisters anhielt. Nach mehreren tiefen, beruhigenden Atemzügen hob er die Hand und klopfte an.
»Komm herein«, klang es gedämpft und ein wenig ungeduldig an sein Ohr.
Meister Wilber saß vor dem Fenster und hielt ein dickes Buch aufgeschlagen auf den Knien. Korben erkannte die sorgfältig kolorierten Abbildungen des »Vollständigen Buches Heilkräftiger Wiesenkräuter«.
»Du kommst schon wieder zu spät, Junge.« Der Heiler schnitt die gemurmelte Entschuldigung mit einer unwirschen Handbewegung ab. »Seit fast einem Jahr bist du jetzt mein Lehrling, und ich weiß, dass es dein Wunsch ist, in den Weißen Orden einzutreten. Aber solange du nicht in der Lage bist, ein wenig mehr Disziplin aufzubringen, wird die Oberste Hexe dich schwerlich als Novizen akzeptieren.«
Korben senkte den Kopf, weniger aus Beschämung als vielmehr, um seine trotzige Miene vor Meister Wilber zu verbergen. Es stimmte, er wollte dem Orden angehören. Die Oberste Hexe hatte ihn nicht ins Waisenhaus der Residenz abgeschoben, als seine Mutter gestorben war, sondern entschieden, das Kind solle in der Obhut des Ordens aufwachsen. Seine Mutter, an die er sich kaum erinnerte, war eine einfache Hexe gewesen; sie hatte hauptsächlich in der Küche und im Garten gearbeitet, weil ihre Kräfte und wohl auch ihr Verstand nicht stark genug gewesen waren, um verantwortungsvollere Aufgaben zu übernehmen. Das hatte ihm zumindest Alrik, der Novizenmeister der Jungen, mit einer gewissen Häme erzählt, als Korben wieder mal neidisch zugesehen hatte, wie die Novizen sich im Torhof zu einem Ausflug an den Weidensee gesammelt hatten.
»Na komm, Junge, zieh nicht so einen Flunsch«, brummte Meister Wilber nicht unfreundlich. »Du solltest dich nicht so viel in der Unterstadt herumtreiben, sondern lieber ein wenig mehr deinen Studien widmen. Die Älteste würde dich sofort als Novizen annehmen, wenn du bewiesest, dass du zu disziplinierter Arbeit und geduldigem Lernen fähig bist. Und das bist du, das weiß ich.« Er hob in einer hilflosen Geste die Hände und ließ sie wieder sinken. »Was kann ich tun, außer dich wieder und wieder zu ermahnen, vernünftig zu sein? Es wirft kein gutes Licht auf dich, Korben, wenn du dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor deinen Pflichten drückst. Das musst du doch selbst einsehen!«
Korben bemühte sich um eine offene, treuherzige Miene, was
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