AnidA - Trilogie (komplett)
gehörst nicht hierher, genausowenig wie ich. Deine Großmutter wollte, dass wir hier bleiben, aber ich habe es immer gehasst. Mag sein, dass es sicherer war, uns hier zu verstecken, aber genauso gut hätten wir das zu Hause tun können, in den Bergen oder ...«
»Tallis«, unterbrach ich sie. »Ich verstehe kein Wort. Könntest du nicht vielleicht doch am Anfang beginnen?«
Sie zuckte irritiert mit den Augenlidern. Hatte ich die alte Frau jemals so verstört gesehen? Ich begann mir ernstliche Sorgen um sie zu machen. Ich wollte mich gerade vorbeugen, um sie beruhigend in den Arm zu nehmen, als es kurz und nachdrücklich an der Haustür klopfte. Ich zögerte und sah Tallis an, die an einem völlig anderen Ort zu weilen schien. Als sie keine Anstalten machte, die Tür zu öffnen, ging ich hin und blickte durch das kleine vordere Fenster auf die nächtliche Straße. Es stand niemand vor der Tür, aber als ich sie öffnete, lag auf der Fußmatte ein weißer Briefumschlag. Ich hob ihn auf und trat auf die Straße, um mich umzusehen, aber sie lag leer und still da, nur schwach erleuchtet von der einzigen noch halbwegs funktionierenden Straßenlampe, die am unteren Ende der Straße vor sich hinflackerte. Ich ging ins Haus zurück und schloss die Tür.
»Wer war es?«, fragte Tallis von drinnen.
»Niemand«, antwortete ich zerstreut und betrachtete den Umschlag. Er war in akkuraten Druckbuchstaben an mich adressiert: Eddy. Im Flur unter der gelblichen Hängelampe riss ich ihn auf und las die wenigen Zeilen mehrmals durch.
»Heute Nacht um 27:30 bei der ›Qester‹. Bring die beiden fehlenden Datenrollen mit, sonst ist das Geschäft geplatzt.«
Keine Unterschrift, aber das war auch nicht nötig. Woher wusste der Geier, dass ich ihm zwei der Rollen unterschlagen hatte? Neben mir raschelte Tallis' langer Rock. Sie sah fragend zu mir auf. Ich reichte ihr die Nachricht. Sie las sie und sah dann auf ihre Uhr. »Es ist 26:50«, sagte sie nur. Ich nickte. Die »Qester« war das Wrack eines beinahe prähistorischen Fischkutters, der bei den alten Docks vor sich hinrostete. Ein beliebter Treffpunkt für Geschäftsleute, die sich nicht gerne bei ihren Transaktionen beobachten ließen.
Tallis knetete ihre Hände. »Soll ich nicht lieber mitkommen?«
Ich kniete mich hin und umarmte sie. Sie legte ihre langen Arme um mich und drückte ihre Wange gegen meine. »Pass für mich auf Chloe auf, bis ich wieder zurück bin«, wisperte ich ihr ins Ohr. Sie nickte. Ich stand auf und holte meine Jacke. Meine Hand schwebte einige Sekunden zögernd über den beiden Datenrollen, die auf dem Küchentisch lagen. Was, wenn ich nur die eine mitnahm und die andere als eine Art von Lebensversicherung hierließ? Allerdings hatte der Geier bewiesen, dass er meinen Aufenthaltsort kannte. Höchstwahrscheinlich würde ich nur Tallis damit in Gefahr bringen, wenn ich ihn reizte. Ich seufzte und ließ beide Datenrollen in meine Tasche gleiten. Vielleicht war ich auch einfach übervorsichtig. Der Geier hatte mir bisher keine Veranlassung gegeben, ihm zu misstrauen.
»Pass auf dich auf«, rief Tallis mir nach, als ich das Haus verließ. Ich winkte ihr beruhigend zu und hörte, wie sie zögernd die Tür hinter mir schloss.
Es war neblig, wie meist in dieser Jahreszeit. Ich mochte den Nebel. Er verbarg den allgegenwärtigen Schmutz und ließ die verfallenen Gebäude der Clouds geheimnisvoll und beinahe romantisch erscheinen, selbst wenn man nur zu genau wusste, wie sie bei Tageslicht aussahen. Ich schob die Hände in die Taschen meiner Lederjacke und zog den Kopf ein. Als Frau alleine zu dieser Tageszeit und in dieser Gegend unterwegs zu sein, war eigentlich nicht ratsam, aber meine Größe und Hagerkeit hatten zumindest den Vorteil, dass sie mich nicht allzu weiblich aussehen ließen. Außerdem war ich durchaus in der Lage, mich zu verteidigen, wenn jemand den Fehler beging, sich mit mir anzulegen. Das immerhin hatten mich meine Jahre auf der Straße gelehrt.
Die Docks waren eine selbst für die Clouds übel beleumundete Gegend. Ich bemühte mich, meine Schritte nicht allzu laut auf dem nebelfeuchten Pflaster widerhallen zu lassen und war Tallis einmal mehr dankbar für die weichen Schuhe, die sie mir gegeben hatte.
In der Nähe der »Qester« drückten sich wie immer einige zerlumpte Narn-Dealer herum. Die meisten von ihnen drückten das Zeug selbst und hatten die typische fleckig gerötete Haut und die gelben Augen der unheilbar Narnsüchtigen. Ich
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