Anidas Prophezeiung
mehr wiederholen, Ida, bis ich dahintergekommen bin, wieso du derartig auf die Schale reagierst.«
Ida nickte erleichtert. Nach diesem Erlebnis, auch wenn es nicht ganz so erschreckend gewesen war wie das erste Mal, war sie nicht allzu begierig auf einen weiteren Versuch.
»Du hast übrigens Besuch«, erwähnte Ylenia, während sie aufstand. »Fühlst du dich schon erholt genug, oder soll ich sie noch mal wegschicken?«
»Besuch?« Ida schwang die Beine aus dem Bett. Ylenia zwinkerte nur und ging hinaus. Ida stieg in ihre Kleider und bürstete sich mit einigen energischen Strichen das Haar.
Die Tür klappte, und Ylenia trat wieder ein, ein voll beladenes Frühstückstablett in den Händen. Ihr auf den Fersen folgten die hungrig maunzende weiße Katze und eine rothaarige Grennach, die Ida fröhlich anblinzelte.
»Mellis«, rief Ida und ließ die Bürste fallen. Sie umarmte die Grennach und küsste sie auf beide Wangen.
»Kommt, ihr habt beide ein verspätetes Frühstück verdient«, warf Ylenia ein, die in der Zwischenzeit den Tisch gedeckt hatte. »Mellis ist spät in der Nacht hier eingetroffen«, erklärte sie auf Idas fragenden Blick hin. Nach dem Frühstück, das genau genommen ein spätes Mittagessen war, kam das Gespräch auf die abwesende Dorkas.
»Warum hast du sie eigentlich jahrelang kreuz und quer durch den Nebelhort gejagt? Was hast du damit bezweckt?«, fragte Ida ihre Tante ein wenig vorwurfsvoll. Mellis verschluckte sich und begann zu husten.
Ylenia sah Ida erstaunt an. »Wie meinst du das? Dorkas hat mir einige nützliche Informationen über die Schwarze Zitadelle beschafft, aber das war eine Sache von vielleicht drei oder vier Monaten. Sie hat durchaus schon langwierigere Reisen für mich unternommen.«
»Aber ...«, stotterte Ida. Ihr Blick fiel auf Mellis, die sich hinter einer großen Serviette zu verstecken suchte. »Ihr habt mich belogen! Ihr habt mir erzählt, Dorkas wäre in Ylenias Auftrag vier Jahre lang durch den Hort gereist, aber das war gelogen!« Sie schnappte empört nach Luft.
Ylenia wandte den beunruhigenden Blick ihrer topasfarbenen Augen interessiert zu der verlegenen Grennach-Frau. »Also?«, forderte sie Mellis sanft auf. »Was habt ihr zwei dort drüben getrieben, das so schrecklich ist, dass ihr es keinem sagen könnt?«
Mellis seufzte. »Dorkas und ich haben uns getrennt, nachdem wir deinen Auftrag erledigt hatten. Ich bin beinahe drei Jahre lang alleine im Grennach-Gebiet des Nebelhortes umhergereist und habe endlich wieder eine feste Verbindung mit unseren Leuten dort gewebt. Wir hatten nach dem Krieg jeden Kontakt mit ihnen verloren, und es hat nie jemand für nötig gehalten, ihn wieder aufzunehmen. Meine Nestmütter sind sehr zufrieden mit mir«, setzte sie beinahe verteidigend hinzu.
»Und Dorkas?«, fragte Ida gespannt. »Was hat sie in all der Zeit getrieben?«
Mellis hob unbehaglich die Schultern und schlug verlegen mit ihrem Schweif gegen das Tischbein. »Ich weiß es nicht«, gab sie schließlich leise zu. »Sie wollte nie darüber erzählen. Sie hat sich sehr verändert in der Zeit. Unsere alte Vertrautheit ist seither so gut wie zerbrochen.« Ida beugte sich zu der traurigen kleinen Frau und strich ihr mitleidig über die Hand.
Ylenia verabschiedete sich, weil sie noch über das eine oder andere nachdenken musste, wie sie mit einem Lächeln zu Ida sagte. Mellis und die junge Frau wechselten zu einem unverfänglicheren Thema, weil Ida bemerkte, wie sehr es Mellis bedrückte, über Dorkas zu sprechen. Mellis erzählte ihr einige Anekdoten über den fetten Wirt Marten, der die beiden Gildenfrauen ein Stück weit in den Hort begleitet hatte. Ida erkannte ihn zweifellos in Mellis Schilderung wieder: verfressen, verlogen, unerträglich selbstverliebt und voller abfälliger Sprüche über die »Gildenweiber« und ihre mangelnden Fähigkeiten. Niemand, dem man auch nur so weit trauen durfte, wie man gegen den Wind spucken konnte, wie Mellis lachend sagte.
Der Tag glitt während ihres Gespräches leise in den Abend hinüber, und die beiden Freundinnen saßen in vertrautem Schweigen am Kamin und hingen ihren Gedanken nach. Endlich gähnte Ida und schlug vor, schlafen zu gehen. Mellis blinzelte schläfrig und stimmte zu.
Ida lag trotz der bleiernen Müdigkeit, die sie so plötzlich überfallen hatte, noch eine Weile wach und starrte ins Dunkel. Was konnte Dorkas im Hort erlebt haben, das sie so weit von ihren Gefährtinnen getrennt hatte? Noch nicht einmal
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