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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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schweigend an der Tür stehen. Der Kommandant nickte ihr zu, und sie griff nach meinem Arm, um mir ein anderes Schockarmband mit einer grünen Markierung umzulegen. Während sie mich aus dem Büro schob, erklärte sie, dass ich die Signale des Armbands jederzeit unverzüglich zu befolgen hätte. Wecken, Schlafen, einmal am Tag Essensausgabe, Zählappelle und so weiter. Und natürlich Bestrafungen. Die kleinen Vergehen wurden sofort und per Schock bestraft.
    »Kann ich mal telefonieren?«, fragte ich sie, als wir an einem öffentlichen Terminal in der Eingangszone des Verwaltungsgebäudes vorbeikamen. Sie nickte und sah mir zu, wie ich vor dem Terminal stand und voller Wut und Verzweiflung auf die Creditanzeige starrte. Fünf Galacx. Ich hatte keinen müden Galacent mehr in der Tasche, dafür hatten die beiden Roten gesorgt, die mich eingeliefert hatten. Das hieß, dass ich zwei Jahre lang vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten war, so lange, bis ich arbeiten und Geld verdienen durfte. Ich drehte mich mit Tränen der Wut in den Augen zu der Aufseherin um und ließ mich von ihr in den Block eskortieren, der für die nächsten Jahre meine Heimat sein würde.

    Ich lag da und starrte an die Decke. Das obere Bett in der Ecke hatte ich mir wie alles hier, was ein wenig Erleichterung brachte, hart erkämpfen müssen. Als ich damals von der Aufseherin in die Baracke geschoben worden war, waren alle Betten schon belegt. Zwei Frauen, Neuzugänge wie ich, hatten sich auf dem Boden in der Nähe der Tür zusammengerollt und blickten wachsam auf, bereit, ihr Territorium mit Zähnen und Klauen gegen mich zu verteidigen.
    Ich drehte mich auf die Seite und versuchte einzuschlafen. Außer mir lebten noch sechzig andere Asoz in dieser Baracke, davon waren jetzt über Tag vielleicht zehn oder fünfzehn im Raum. Eine gute Gelegenheit, sich eine Mütze ungestörten Schlaf zu holen. Nachts, wenn alle hier waren, gab es ununterbrochen Unruhe: Schnarchen, Murmeln, Stöhnen, Husten, Umherwälzen, Fürze, und dauernd stand einer auf, um zur Latrine zu gehen. In der ersten Zeit hatte ich geglaubt, wahnsinnig zu werden, obwohl ich doch Schlafsäle seit meiner Kindheit wahrhaftig gewöhnt war.
    Ich wälzte mich wieder auf den Rücken und zog die muffige Decke über den Kopf. Der Schlaf flutete heran und befreite mich für kurze Zeit aus dem Lager.
    Es war wieder einmal mein alter Alptraum, den ich inzwischen begrüßte wie einen alten Freund. Ich stand auf einem hohen, schneebedeckten Gipfel und starrte auf eine Wand aus Eis, einen hunderte Meter hohen, erstarrten Wasserfall. Das Licht, das aus einem violetten Himmel kam, obwohl ich weder Sonne noch Sterne ausmachen konnte, brach sich in dem Eis und wurde in Myriaden von farbigen Reflexen zurückgeworfen, so dass ich geblendet die Augen schließen musste. Obwohl ich beinahe bis zu den Knien im Schnee stand, war mir nicht kalt. Über mir kreisten Vögel, deren Schreie mir schrill in die Ohren stachen.
    Ich trat fasziniert einen Schritt vor und bemühte mich, das Eis mit den Augen zu durchdringen. Mein Blick wurde in eine prachtvolle Kathedrale aus Eis gezogen; endlose, schimmernde, lichtdurchflutete Räume taten sich vor meinen Augen auf. Vor Sehnsucht, diesen Palast zu betreten, wurde mein Herz schier zerrissen. Überwältigt hob ich meine Hände und legte sie gegen die Wand aus Eis, die mir den Weg versperrte. Sie drangen hinein, als wäre sie nur ein Schleier aus kalter Luft. Voller Jubel tat ich den verhängnisvollen Schritt hindurch. Rund um mich verfestigte sich die Luft wieder, und ich war in einem Block aus Eis gefangen. Ich schrie, aber kein Laut konnte die gefrorene Luft durchdringen. Meine Lungen begannen, mir den Dienst zu versagen, und während das fremdartige Singen in meinen Ohren stärker und stärker wurde und mein Blick sich verschleierte, trat jemand an mein Gefängnis heran und legte seine Handflächen gegen meine. Ich blickte in mein eigenes, mitleidiges Gesicht, und mein Entsetzensschrei zerriss mir die luftleeren Lungen.
    Keuchend fuhr ich hoch und befreite mich aus der erstickenden Umschlingung meiner Decke. Das verfluchte Signal zum Zählappell hatte mich mit seinem schmerzhaften Prickeln aus dem Traum gerissen. Während seine wunderbaren, bedrängenden Bilder vor meinen Augen verblassten, strömten nach und nach die anderen Internierten in die Baracke und verteilten sich auf ihre Betten.
    Laut dem Reglement war es uns streng untersagt, nach dem abendlichen

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