Anidas Prophezeiung
und blickte mit schwimmendem Blick zu Boden.
»Da seiter ja wieder«, freute sie sich. »Wo warter denn, ihr beid'n?« Sie begann ganz langsam vornüber zu kippen. Marten schwenkte einen Arm aus und hielt sie auf. Er packte sie unter den Achseln und bewegte sich schlingernd mit ihr auf die Treppe zu, wobei er zweimal über ihre schleifenden Beine stolperte.
»He, lass mich los, du Trampel«, schimpfte Ida. »Kann absolut allein' lauf'n. Ab-so-lut!«
Der Wirt griff nur noch etwas fester zu. »Aber ich nich'«, erwiderte er ernsthaft. Ida stolperte kichernd gegen ihn und versank in seinem Bauch wie in einem großen weichen Federbett.
»Schön«, verkündete sie begeistert der Welt. »Hier bleibich. Weck mich morgen.« Sie sank langsam in die Knie. Marten zerrte sie wieder hoch und die Treppe hinauf. Oben angekommen, lehnte er sie vorsichtig gegen die Wand und öffnete nach mehreren Anläufen die Tür zu ihrem Zimmer. Ida rollte mit den Augen und schnitt ihm eine fürchterliche Grimasse.
»Du bis' ja betrunken«, sagte sie vorwurfsvoll. »Schäms' du dich nich'?«
»Nee«, erwiderte er kurz und zog wieder ihren Arm um seine massigen Schultern. Ida gluckste und fiel schwer gegen ihn. Da war die warme Berührung von Händen und Lippen, und für einige versunkene Momente überließ sie sich ihnen hingerissen.
»Nich'«, protestierte sie schließlich undeutlich. Sie stemmte ihre Hände gegen seinen massigen Brustkorb und schob. »Geh weg. Du bis' nich' mehr mein Freund.«
»Binnich doch«, brummte er beleidigt, aber er ließ sie gehorsam los. Kurz bevor sie auf dem Boden auftraf, fingen die starken Arme sie wieder auf und hoben sie hoch. »Mensch, du bis' aber schwer für so'n knochiges Weib«, beschwerte er sich stöhnend und ließ sie unsanft halb auf das Bett fallen.
»Ach, hau doch ab, Dicker«, knurrte Ida. Sie zog sich ganz auf die schwindelerregend rotierende Matratze und drückte ihr Gesicht in das weiche Kissen. Undeutlich fühlte sie noch, wie jemand ihr ungeschickt die Stiefel von den Füßen zog, dann ging das Licht aus.
»Na, gut geschlafen?«, wurde Ida fröhlich empfangen, als sie am Vormittag in die riesige sonnendurchflutete Küche getappt kam. Sie knurrte wortlos und hielt eine schützende Hand über die schmerzenden Augen. Langsam und vorsichtig brachte sie ihren Körper am Tisch in eine sitzende Position. Ein üppig gefüllter Teller mit goldgelbem Rührei und gebackenem Schinken landete vor ihrer gepeinigten Nase, und sie starrte so entsetzt darauf nieder, als wären es lebende Schlangen. »Nehmt das weg«, flüsterte sie heiser. Sie presste eine Hand vor den Mund und versuchte, ganz flach zu atmen.
»Au weh, das sieht ja wirklich böse aus«, sagte die unverschämt fröhliche Stimme mitleidlos. »Und ich dachte noch, Donnerwetter, die Prinzessin kann aber einen ordentlichen Stiefel vertragen!«
»Ob ich den Stiefel vertragen habe, ist derzeit noch sehr fraglich«, flüsterte Ida und verdrehte verzweifelt die Augen. »Nehmt das da weg, ich bitte Euch!« Eine riesige Hand schob den Teller beiseite und stellte stattdessen einen Becher vor sie hin. Ida kniff die lichtempfindlichen Augen zusammen und sah fragend auf.
Der dicke Wirt blickte sie drohend an und zeigte auf den Becher. »Runter damit«, befahl er grob.
Ida presste die Lippen zusammen und schüttelte heftig den Kopf. Als der Kreisel in ihrem Hirn aufhörte, sich zu drehen, sagte sie schwach: »Nein.«
»Runter damit, sage ich!« Die heisere Stimme hatte einen unverkennbar gewalttätigen Klang. Ida seufzte schwer und kippte das Zeug mit Todesverachtung herunter.
Er klopfte ihr auf den Rücken, bis sie aufhörte zu husten und nach Luft zu ringen. »Besser?«, fragte er aufmunternd.
Sie nickte und wischte sich die tränenden Augen. »Das war iovveverflucht scharf«, keuchte sie und stopfte sich einen Löffel Rührei in den Mund, um das Feuer zu löschen. Es schmeckte erstaunlich gut. Sie zog den Teller heran und begann zu löffeln.
»Nachschlag?«, fragte Marten zwinkernd, als sie den leeren Teller mit einem tiefen Seufzer beiseite schob. Sie winkte ab und griff dankend nach dem Tee, den er ihr hingestellt hatte. Sie sahen sich schweigend an. Ida zermarterte sich den Kopf, um etwas Licht in das Dunkel der letzten Nacht zu bringen, aber die wenigen Erinnerungsfetzen, die kläglich in der weiten Leere flatterten, trugen nur dazu bei, dass ihre Kopfschmerzen zurückzukehren drohten. Martens grünliche Augen blickten ausdruckslos, und
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