Animal Tropical
wunderschöner grüner, ruhiger Platz mit seinen kleinen, unauffälligen Grabsteinen.
Bei der Kapelle steht eine Bank unter riesigen Bäumen mit üppigem, intensiv grünem Laub. Ich setze mich und öffne den Brief. Darin steckt ein gefaltetes Papier voller roter, goldener, silberner, blaugrüner Küsse. Zwei Trockenblumen und ein langer Brief über vier Seiten: »… ich bin hoffnungslos sentimental. Du verschaffst mir so eine gewisse intime Hitze. Im Grunde ähneln wir uns, auch wenn du bist, wie du bist: ein bisschen schwierig, aber das bereitet mir ein seltsames Vergnügen. Ständig bete ich zu Gott, dass du mich so nimmst, wie ich bin. Manchmal glaube ich, ich bin verrückt, aber nachts zünde ich eine Kerze an und setze mich hin und befrage mich. Ich leuchte tief in mein Inneres, und dann weiß ich, dass alles in Ordnung und meine Seele rein ist, und dann schlafe ich glücklich, ohne dass mir die Einsamkeit etwas ausmacht. Ich bin zu den Kirchen Caridad und Regia und Las Mercedes gegangen und habe mich niedergekniet vor dem Herrn, um für meinen Vater und für dich und für alle zu beten, und ich bitte ihn, er möge sich unser erbarmen …«
Ich lese ihn viele Male, und dann sitze ich ruhig da und denke an nichts. Ich spaziere ein bisschen über den weichen grünen Rasen und sehe mir die Jahreszahlen auf den Gräbern an. Es gibt viele alte Gräber von Leuten, die im 19. Jahrhundert lebten. Genau das sind wir am Anfang und am Ende: Staub und Stille. Doch das zu wissen entsetzt uns, und darum setzen wir viel Krach und Trubel in die Mitte, zwischen den Anfang und das Ende.
Langsam gehe ich zurück zur Wohnung, wo ich einen Brief an Gloria schreibe: »Wenn ich zurückkomme, bringe ich dir eine Peitsche mit. Viel Liebe. Viel Zärtlichkeit, Küsse, Schwanz und Peitsche. Ich werde dich unterwerfen und versklaven. Du wirst mein kluges Tierchen sein. Nie zuvor in deinem Leben hast du einen solchen Mann gehabt und wirst ihn auch nie wieder haben. Du inspirierst mich. Es ist etwas zugleich Spirituelles und Körperliches. Du weckst in mir den Engel und den Dämon. Und so wollen wir jetzt genießen, denn heute ist die Zukunft. Ich will mit dir in einem großen Haus wohnen. Nur wir zwei mit einem schwarzen Hund, wie du ihn magst. Und du darfst dir weder die Achseln noch die Beine rasieren. Nichts. Weder Deodorant noch Parfüm. Du und ich. Ganz natürlich. Allein und wie Wilde in einem Haus in der Umgebung von Havanna. Fern von allen Leuten, die sich einmischen und Fragen stellen. Und schwängern will ich dich. Ich träume davon, dich zu schwängern und zu besitzen. Schön, mit deinem großen Bauch, zum Anbeten. Ich werde dich anbeten. Du mit einem Baby und deinen immer größer werdenden Brüsten, die Milch geben. Anbeten werde ich dich, wie du es nie für möglich gehalten hast, von einem Mann angebetet zu werden. Du bringst mich um den Verstand.«
Ach, diese Frau raubt mir die Ruhe, selbst in Schweden. Mit ihr habe ich drei Optionen: sie noch mehr zur Hure zu machen und ihr Zuhälter zu sein. Am liebsten würde ich sie versklaven, damit sie mir das Geld in die Hände drückt. Viele Male hat sie mich darum gebeten. Oder sie aus dem Viertel herauszuholen. Ein Haus an einem ruhigen Ort zu suchen. Vielleicht am Meer. Wo niemand uns kennen würde. Zwei, drei Kinder zu haben und ein ungestörtes Leben zu führen. Auch darum hat sie mich gebeten. Die letzte Möglichkeit wäre, sie zu vergessen. Das Viertel zu verlassen. Weit weg zu gehen. Ich allein. Und sie nie wieder zu sehen.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Das quält mich. Macht mich verrückt. Und dieses schwedische Luder impft mir auch ihren Virus ein. Nach und nach. Jeden Tag ist sie zärtlicher und verführerischer und gerissener.
Uff, kaum herrscht völlige Stille, denke ich zu viel nach. Ich lege Pavarotti und Bucchero auf, das Miserere. Gehe hinaus auf den Balkon. Ich brauche frische Luft. Die Sonne scheint, und der Tag ist herrlich. Zwei junge Mädchen kommen an die Hausecke. Eines führt einen deutschen Schäferhund an der Leine. Das andere eine schwarze Hündin mit wollenem Fell. Die beiden grüßen einander. Die Hunde beschnuppern sich und werden nervös. Spielen miteinander. Verheddern sich in ihren Leinen. Offenbar war das alles vorgesehen. Sie hatten sich dort verabredet. Bringen ihre Hunde auf ein kleines Fußballfeld, das korrekt von einem Maschendraht von fünf Meter Höhe umzäunt ist. Schließen die Tür und lassen ihre Hunde los. Diese tollen
Weitere Kostenlose Bücher