Animal Tropical
Eiszapfen.«
»Oh, ist dir kalt?«
»Bei deiner Mutter, Schätzchen! Als wir aus dem Haus gingen, waren zwölf Grad, jetzt müssen es zehn sein.«
»Mir ist das sehr angenehm.«
Zu Hause bereitet Agneta etwas zum Abendessen zu. Gebe Gott, dass es kein Lachs ist. Ich kann Lachs, Brot und Käse nicht mehr sehen. Ich suche Musik im Radio. Da erklingt etwas auf Spanisch. Unglaublich, aber wahr. Auf FM. Eine Sendung, die sich als Match 81.9 vorstellt. Ein langes Interview auf Englisch und Spanisch mit einem in Washington lebenden Kubaner. Wir sind aber auch überall! Das ist unglaublich. Der Kerl ist Mitglied der Academia de la Lengua Españiola in den USA. Uff, wie schön. Er sagt, dass Spanisch sich immer mehr verbreitet und eine Weltsprache ist. Das höre ich gern. Auch wenn es nicht stimmt. All das Englisch traumatisiert mich. »Als ich vor ungefähr vierzig Jahren nach Washington kam, grüßte man gleich, wenn man einen anderen Spanisch sprechen hörte, schloss Freundschaft und alles. Heute nicht. Heute ist es ganz normal, in den Geschäften, Restaurants und überall Leute zu treffen, die Spanisch sprechen.«
Wir aßen Salat und Roastbeef zu Abend. Offenbar verliert der Lachs an Terrain.
»Du magst Lachs wirklich wahnsinnig gerne, oder, Agneta?«
»Ja, das ist eine Tradition. Ich esse immer Lachs und Kaviar.«
»Kaviarpaste. Kein echter. Sieht aus wie Zahnpasta.«
»O nein.«
»O doch.«
Nach dem Abendessen pflege ich meine bürgerlichen Gewohnheiten: Kaffee, Whisky und eine gute Zigarre. Auf dem Balkon natürlich. Das ist etwas, das mir an Europa nicht gefällt. Elf Grad, aber man muss draußen rauchen, auch wenn einem die Eier abfrieren.
»Kommst du mit, Agneta?«
»Sure.«
Manchmal tut es gut, in Begleitung zu rauchen, wenngleich ich sonst dabei lieber alleine bin. Eine gute Zigarre zu rauchen ist ein Akt der Reflexion, der Meditation. Ist wie Angeln. Nur du allein. Sitzt da mit der Angelschnur. Denkst nach, sprichst, entwirfst dich innerlich. Eine Zigarette ist zwanghaft. Eine Zigarre ist philosophisch.
An der Hausecke stehen auf dem Rasen ein paar Sandkästen mit Schaukeln, Wippen und Holzhäuschen. Die Stadtverwaltung gibt ganz schön Geld aus für die Kinder und den Sommer. Zwei Mädchen und ein Junge sind jetzt da. Ausgelassen vergnügen die beiden Mädchen sich auf den Schaukeln. Sie schwingen, so hoch sie können, und kreischen. Mit aller Kraft holen sie Schwung. Die Schaukeln hängen an Stahlketten und sind sehr sicher. Alles hier ist sehr sicher. Alles ist wohl vernietet, wohl verschraubt, sehr korrekt, mit hoher Präzision. Die Leute vergessen sogar die Bedeutung des Wortes »Unsicherheit«. Die Mädchen schaukeln bis auf 180 Grad. Bis es nicht mehr geht. Sie haben Spaß, quietschen, lachen, haben Angst, bewältigen sie. Und wieder rauf. Sie fürchten sich, machen aber weiter. So hoch es geht. Der Junge ist vorsichtiger, feiger. Er traut sich nicht. Bewegt sich zaghaft hin und her. Die Mädchen hingegen kosten es aus und kreischen vor Angst und machen sich vielleicht sogar ins Höschen, schaukeln aber weiter, so hoch sie können. Wir sehen zu.
»Als kleiner Junge habe ich das auch gemacht.«
»Ja?«
»Ganz hoch. Ich warf mich auf die Schaukel und schaukelte hoch bis zur Spitze. Ich habe mir fast in die Hosen gemacht vor Angst, aber ich fand es toll. Ich kniff den Arsch zusammen und überwand die Angst. Das mochte ich am liebsten: ganz hoch zu schwingen und die Gewalt darüber zu behalten, die Kontrolle in der Hand zu haben.«
»Das glaube ich.«
»Von klein an bin ich so.«
»Alles machst du so. On the top.«
10
Am Wochenende ereignete sich nichts. Ich langweile mich in diesem Eheleben: Einkauf im Supermarkt – Bier, Milch, Käse, Brot, Eier, Kaffee. Am Samstag kam ein Paket: Kabel-TV Ich installiere es. Endlich können wir Pornos sehen. Jetzt haben wir zwölf zusätzliche Kanäle, wie schön. Sie interessiert sich mehr für BBC und CNN.
Ich hatte Glorias Brief gut versteckt und völlig vergessen. Eines Morgens bin ich allein, blicke zur Decke. Was soll ich tun? Es herrscht eine erstaunliche Stille. Unglaublich. Wie bekommen die Schweden bloß diese absolute Stille hin, in einem Viertel, wo so viele Apartmenthäuser stehen? Anhaltende und vollkommene Stille. Verdammt, Glorias Brief! Ich suche ihn, stecke ihn in die Tasche, ziehe meine Joggingschuhe an, gehe die Treppen hinunter und hinüber zu dem kleinen Friedhof. Auf einigen Gräbern liegen frische Blumen. Es ist ein
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