Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Animal Tropical

Animal Tropical

Titel: Animal Tropical Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
Vom Netzwerk:
er schon wieder stramm. Ich gab ihr das Rohr. Halbe Stunde. Eilig stand sie auf zu unserem täglichen Tee. Zeit zu duschen blieb ihr nicht.
    »Oh, ich werde zu spät kommen. Ich habe keine Zeit mehr.«
    »Ach, ist doch egal. So macht man’s in Kuba. Wir kommen alle zu früh oder zu spät, niemand schafft es, genau pünktlich da zu sein.«
    »Wir sind hier in Stockholm, Pedro Juan, wir sind in Schweden, ahhh.«
    »Hast du geduscht?«
    »Nein.«
    »Gut. Steck dir am Vormittag den Finger rein und rieche dran.«
    »Ahhh, nein. Du spinnst.«
    »Das riecht toll. Die Affen riechen sich. Und sie mögen’s.«
    »Oh.«
    »Du hast da meinen und deinen Saft. Vermischt. Das riecht sehr gut. Es wird dir gefallen.«
    »Vielleicht ist das eine gute Idee. Ich werd’s tun. Oh, it’s very late.«
    Wenn sie aufgeregt ist, kann sie kein Spanisch sprechen. Um zehn Uhr rufe ich sie im Büro an.
    »Bist du sehr zu spät gekommen?«
    »Fünfzehn Minuten.«
    »Oh, das ist gar nichts.«
    »Doch, sehr viel. Oh, ich habe jetzt keine Zeit zu sprechen.«
    »Hast du viel Arbeit?«
    »Ja, ja.«
    »Gut. Dann sehen wir uns später.«
    »Ach übrigens, Pedro Juan, äh … ich bin nicht schwanger.«
    »Hast du sie?«
    »Ja.«
    »Umso besser. Ruhe im Karton.«
    »Ich muss jetzt aufhören. Ich habe viel zu tun.«
    »Dauern die bei dir lang?«
    »Ja. Vielleicht fünf Tage.«
    »Und was machen wir? In den Arsch?«
    »Nein, nein, ohhh …«
    »Na, dann von vorne mit Blut und allem. No problem.«
    »Nein. Oh, du bist … Ich muss jetzt Schluss machen. Du spinnst. Leg bitte auf. Ich habe viel zu tun.« Und ich legte auf.

9
    Gegen Mittag laufe ich durch einen Wald aus Pinien, Eichen und Birken. Neben einem Kanal verläuft ein Weg. Die Erde ist schwarz, weich und feucht. Bedeckt mit Moos und Piniennadeln. Ich fühle mich sehr wohl, wenn ich so jogge und den Leuten in ihren Kanus und Kajaks zusehe. Andere schwimmen im eiskalten Wasser der Ostsee. Heute ist mir klar geworden, warum es mir so gefällt: In genau so einem Wald in Litauen, in der Nähe von Vilnius, verlebte ich einmal einen Tag der Liebe und der Zügellosigkeit mit einer wunderschönen Litauerin. Es war eine sehr merkwürdige Angelegenheit. Sie sprach nur Russisch und Litauisch und kein Wort Englisch, Französisch oder Spanisch. Wir hatten uns am Vorabend bei einem Essen kennen gelernt. Wir tanzten. Ich war fünfunddreißig und ein sehr emotionaler Mann. Sie war Tänzerin in einer Folkloregruppe und auch sehr romantisch und groß und schlank und fröhlich und zum Anbeißen. Wir mochten uns auf den ersten Blick. Wir tanzten noch etwas weiter, ähnelten aber schon zwei Schlangen, die sich umeinander wanden. Dann wollten wir natürlich hinauf in mein Zimmer im vierten Stock des Hotels. Unmöglich. Ein brutaler Kerl am Eingang ließ sie nicht herein. Sie war kein Gast. Ich bot ihm ein paar Rubel. Nichts da. Das Hotel war nur für Ausländer. Sie durfte nicht mit auf mein Zimmer. So entzückend waren die Sowjets. Zwar weiß ich nicht mehr, wie wir uns verständigten, die Litauerin und ich; aber in jener Nacht gingen wir zusammen spazieren, wurden schließlich ein bisschen warm. Am nächsten Morgen gingen wir in jenen Wald. Wir liebten uns wie zwei Verrückte. Wir tranken Wein und Bier. Gegen Abend sang ich ihr halb betrunken Nosotros vor. Ich bin dem Song eng verbunden. Offenbar hat Pedrito Junco ihn für mich geschrieben und nicht, um sich von seiner Freundin zu verabschieden, kurz bevor er an Tuberkulose starb:
     
    Wir,
    die wir uns so lieben,
    müssen uns trennen,
    frag mich nicht weiter.
    Es fehlt nicht an Liebe,
    ich liebe dich mit ganzer Seele,
    und im Namen dieser Liebe
    und zu deinem Wohl
    sage ich dir adiós.
     
    Sie weinte. Ich auch. Dann sang sie mir leise ein litauisches Liebeslied vor. Wir weinten noch mehr. Tranken weiter Bier.
    Am nächsten Tag kehrte ich zurück nach Kuba, und sie flog mit ihrer Folkloregruppe nach Deutschland. Ich weiß nicht, wie wir uns über diese Einzelheiten verständigten. Ich fragte sie nicht nach ihrem Namen und sie auch nicht nach meinem. Weder Adressen noch Telefonnummern. Nichts. Wir spazierten ein bisschen durch den Wald, der mir wie das Paradies vorkam, und verabschiedeten uns voneinander hoffungslos weinend. Für immer. Wir würden uns niemals wieder sehen. Jetzt gehe ich in einem ähnlichen Wald meinem Jogging nach und muss an jenen faszinierenden Moment der Liebe und des Schmerzes vor fünfzehn Jahren denken.
    An einer kleinen Mole schwimmen drei

Weitere Kostenlose Bücher