Anita Blake 08 - Göttin der Dunkelheit
nur sehr nah und blickte über das Land wie ich. »Der Fall geht Ihnen nahe?«, fragte er, ohne mich anzusehen.
Ich nickte. »Ja, ich weiß auch nicht, warum.« Er lachte plötzlich und drehte den Kopf, halb erstaunt und halb belustigt. »Sie wissen nicht, warum?« Ich blickte ihn stirnrunzelnd an. »Nein.«
Er schüttelte lächelnd den Kopf, sein Blick war sanft. »Anita, das ist ein grauenvoller Fall. Etwas Derartiges habe ich noch nie erlebt.« »Ich habe schon zerstückelte Leichen gesehen.« Er wurde ernst. »So schlimm wie diese?«
Ich nickte. »Und solche Verstümmelungen?«, fragte er, jetzt völlig ernst. Seine blanken, schwarzbraunen Augen musterten mein Gesicht.
Ich schüttelte den Kopf. »So etwas wie diese Überlebenden habe ich auch noch nicht gesehen.« Ich lachte, aber es klang nicht heiter. »Wenn man das Überleben nennen kann. Was für ein Leben werden sie noch führen können? Falls sie weiterleben.« Ich verstärkte meine Selbstumarmung, starrte auf den Boden und versuchte, nichts zu denken.
»Ich habe schon Albträume«, sagte Ramirez.
Ich sah auf. Polizisten geben so etwas nicht oft zu, schon gar nicht vor zivilen Fachleuten, die sie kaum kennen. Wir tauschten einen Blick, und seine Augen waren so sanft, so aufrichtig. Ramirez zeigte sich ganz unverstellt, außer er war ein wirklich guter Schauspieler. Ich war dankbar dafür, wusste nur nicht, wie ich das ausdrücken sollte. So etwas sprach man nicht aus. Am besten, man revanchierte sich in gleicher Weise. Das Problem war, dass ich nicht mehr wusste, wie ich unverstellt eigentlich war. Ich wusste nicht, wie ich gucken, was ich ihn sehen lassen sollte. Am Ende hörte ich auf, zu überlegen, und zeigte mich ratlos bis ängstlich.
Er fasste mich behutsam an der Schulter, und als ich nichts sagte, nahm er mich in die Arme und hielt mich fest. Ein, zwei Sekunden lang blieb ich steif, entzog mich aber nicht. Nach und nach entspannte ich mich, bis ich mit dem Kopf an seiner Halsbeuge ruhte, die Arme zögerlich um seine Taille.
»Alles wird gut, Anita«, flüsterte er. Ich schüttelte den Kopf an seiner Schulter. »Das glaube ich nicht.«
Er versuchte, mir ins Gesicht zu sehen, aber ich stand zu nah, in einem zu ungünstigen Winkel, darum zog ich den Kopf zurück. Und plötzlich kam ich mir komisch vor, wie ich da in den Armen eines Fremden stand. Ich löste mich von ihm, und er ließ mich. Nur meine Finger hielt er fest und gab mir einen kleinen Ruck. »Reden Sie mit mir, Anita, bitte.«
»Seit fünf Jahren löse ich solche Fälle. Wenn ich gerade keine blutigen Leichen begutachte, jage ich Vampire, verbrecherische Gestaltwandler und, und, und.«
Jetzt nahm er meine Hand fest in seine, hüllte sie in seine Wärme ein. Ich zog sie nicht weg. Ich brauchte einen Menschen zum Festhalten. Ich versuchte in Worte zu fassen, was mir seit einer Weile durch den Kopf ging. »Viele Polizisten benutzen ihre Dienstwaffe kein einziges Mal, nicht mal in dreißig Jahren. Ich dagegen habe schon aufgehört zu zählen, wie viele Leute ich getötet habe.« Er hielt mich umso fester, ohne mich zu unterbrechen. »Als ich anfing, dachte ich, Vampire seien Monster. Davon war ich überzeugt. Doch in letzter Zeit bin ich mir nicht mehr so sicher. Und unabhängig davon, was sie sind, wirken sie sehr menschlich. Ich kann morgen einen Anruf erhalten, der mich in ein Leichenschauhaus schickt, damit ich einen Pflock durch das Herz einer Leiche treibe, die genauso menschlich aussieht wie Sie und ich. Wenn ich einen gerichtlichen Exekutionsbefehl bekomme, bin ich gesetzlich verpflichtet, die betreffenden Vampire zu töten, und jeden, der sich mir dabei in den Weg stellt. Das schließt menschliche Diener und Leute ein, die nur einmal gebissen wurden. Bei ein oder zwei Bissen können sie zwar geheilt werden, aber ich habe solche auch schon getötet, um mich selbst oder andere zu retten.«
»Sie haben getan, was nötig war.«
Ich nickte. »Vielleicht, kann sein, aber das spielt keine Rolle mehr. Es zählt nicht mehr, ob ich das zu Recht tue oder nicht. Dass es eine rechtmäßige Tötung war, heißt nicht, dass es mich unberührt lässt. Ich habe immer geglaubt, es würde genügen, im Recht zu sein, aber das ist nicht so.«
Er zog mich ein bisschen näher zu sich. »Was wollen Sie sagen?« Ich lächelte. »Ich brauche Urlaub.« Darauf lachte er, und es war ein gutes Lachen, offen und freudig, das außer seinem Erstaunen
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