Anleitung zum Alleinsein
«gedämpftes Fernsehgefasel» vibriert! Nichts stärkt meinen Glauben an die Menschheit verlässlicher als die Leserbrief-Dyspepsie in der
Times
.) Allerdings fand sich da auch die klassische Widerlegung durch den Vorsitzenden von Turner Private Networks, der die bizarre Behauptung aufstellte, das Flughafenfernsehen sei «überhaupt nicht aufdringlich», und mit mehr Überzeugungskraft darlegte, dass Hochschild «mit seiner Einschätzung einsamer dasteht, als er vielleicht meint». Anscheinend beweist eine Nielsen-Umfrage, dass fünfundneunzig Prozent der Flugreisenden der Ansicht sind, die Fernseher verbesserten das Flughafenambiente, und dass neunundachtzig Prozent finden, «die in einem Flughafen verbrachte Zeit wird somit lohnender».Hochschild tat mir leid, als ich das las. Da versucht er tapfer, der schweigenden Mehrheit der Leidenden eine Stimme zu geben, und will allgemeine Empörung wecken, und dann kommt einer mit einer Zahl des Wegs –
fünfundneunzig Prozent
– und haut ihn von den Beinen. Er ist lächerlich gemacht von einer Norm.
An diese Sache mit den Normen, die zum Inventar des Informationszeitalters gehören – als Freunde oder als Tyrannen, je nachdem, wie normal man ist –, musste ich in diesem Winter denken, als ich mir einen Überblick über zeitgenössische Sexratgeber verschaffte und mit dem Beweis konfrontiert wurde, dass ich einer der wenigen heterosexuellen Männer in Amerika bin, die nicht auf raffinierte Reizwäsche stehen. In den Buchhandlungen finden sich Sexratgeber gemeinhin in der Abteilung «Gesundheit» . (ein Thema von solcher Bedeutung für die Kultur, dass jedes heute veröffentlichte Buch, Romane eingeschlossen, dort stehen könnte), und da sexuelle «Gesundheit» unmöglich objektiv zu definieren ist, bieten sie dem Leser ein außerordentlich reichhaltiges Spektrum normativer Erklärungen an. «Spitzen-BH und dazu passendes Höschen, Hüfthalter und Strümpfe, Bustier, G-String und Body – die meisten Männer können von dem Zeug nicht genug kriegen», schreibt Sydney Biddle Barrows, die Mayflower Madam, in
Just Between Us Girls
. Weiter hinten ergänzt sie noch: «Aus welchem Grund auch immer, Bustiers und Corsagen sind offenbar fast überall beliebte Kleidungsstücke.» Dr. Susan Block gebietet der Leserin in
Die zehn Gebote der Erotik
: «Tragen Sie Wäsche», und erklärt, dass «Männer, die Sex lieben, auch eine Frau lieben, die daran denkt und sich entsprechend kleidet». Susan Crain Bakos, die Autorin von
Sex-Geheimnisse
, pflichtet ihr bei: «Die Männer lieben es, wenn Sie in Stöckeln, Bustier und Strümpfen ins Bett kommen.» Damit solche Verallgemeinerungen nicht unwissenschaftlich klingen, berichten die Autoren des Buches
Sex: A Man’s Guide
, ihrer Umfrage unter
Men’s Health
-Lesern zufolge sei Reizwäsche «zweifelsohne … das beliebteste erotische Hilfsmittel des amerikanischen Mannes».
Ich habe nichts gegen einen hübschen BH, noch weniger gegen die Aufforderung, ihn aufzumachen. Doch Bordellware von der Art, wie sie bei Frederick’s of Hollywood verkauft wird, erscheint mir doch kaum weniger abgeschmackt als die Halbzeitshow bei der Super Bowl. Wenn ich höre, dass die breite Masse dieses Zeug tatsächlich
kauft
, empfinde ich genau die gleiche Standard-Befremdung, wie wenn ich höre, dass Hootie & the Blowfish ihre erste Platte dreizehn Millionen Mal verkauft haben oder dass der amerikanische Mann von einer Verabredung mit Cindy Crawford träumt. In gewisser Weise bin ich stolz darauf, nicht so wie alle anderen zu sein. Wie alle anderen aber bin ich in Sachen Sex beklommen, und bei Sex führt die Erkenntnis, nicht wie alle anderen zu sein, unmittelbar zu der Sorge, dass ich nicht so gut wie alle anderen bin oder jedenfalls nicht so viel Spaß habe.
Beklommenheiten beim Sex sind uralt; die körperliche Liebe birgt von jeher das Risiko, dass das nackteste Ich zurückgewiesen wird. Wenn die Amerikaner diesbezüglich heute besonders beklommen sind, dann, so die allgemeine Übereinkunft, wegen der «sich verändernden Geschlechterrollen» und des «Bildes, das die Medien vom Sex vermitteln» und so weiter. Tatsächlich aber erleben wir einfach nur die Beklommenheiten des freien Marktes. Verhütung und leichte Scheidungen haben der Ökonomie des Sex die Fesseln genommen, und so wie die Bürger des heutigen Dresden und Leipzig möchten wir alle glauben, dass es uns in einem System, in dem selbst der Ärmste vom Reichtum träumen kann,
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