Anleitung zum Alleinsein
Sinn in der Narration zu finden, indem man ihn zwingt, aktiv am Konstruieren des narrativen Sinns teilzuhaben, von ihm fordert, Informationen in den Text einzubringen, um lesen zu können, was gar nicht geschrieben worden ist.
Mit anderen Worten: Sie sagen mir, ich müsse mich
nur ein kleines bisschen mehr anstrengen
. Worauf ich bloß antworten kann, dass kein Kopfschmerz dem Kopfschmerz gleicht, der sich einstellt, wenn man sich bei der Entzifferung eines Textes mehr anstrengt, als es allem Anschein nach der Autor selbst getan hat, während er ihn schrieb – und dass ich diesen Kopfschmerz nun allmählich bekomme.
Und auch allmählich wie Mrs. M––– klinge?
Wie vielen anderen dem Kontraktmodell zugeneigten Amerikanern, wie den literarischen Gesellschaften von vor hundert Jahren, wie den Buchclubs von heute ist auch mir klar, dass der Kontrakt einem zuweilen Anstrengung abverlangt. Ich weiß, das Vergnügen an einem Buch ist nicht immer ein einfaches Vergnügen. Ich erwarte, dass ich mich anstrengen muss; ich
will
mich anstrengen. Allerdings liegt es auch in meiner protestantischen Natur, für diese Anstrengung einen Lohn zu erwarten. Und obwohl mir die Kritiker bei meinem Streben nach diesem Lohn seelsorgerische Begleitung anbieten können, denke ich doch, dass letztlich jeder hier mit seinem Gewissen allein ist. Als Leser suche ich eine unmittelbare, persönliche Beziehung zur Kunst. Die Bücher, die ich liebe, die Bücher, auf denen mein Glaube an die Literatur gründet, sind diejenigen, mit denen ich eine solcheBeziehung haben kann. Zu meiner Überraschung erwies sich
Die Fälschung der Welt
als ein solches Buch.
Nach diesem Roman geschah mit Gaddis jedoch etwas. Etwas lief aus dem Ruder. Ob sie wahr ist oder nicht, ich erzähle mir eine Geschichte über einen fünfjährigen Jungen, der «im Weg» war, von einem schmalen jungen Mann, der – wie Hamlet, der sich die Schurkerei seines Stiefvaters ins Gehirn gravierte – eine Enzyklopädie der Verlogenheit zusammenstellte, die in der Literatur ohnegleichen ist. Er vertraute seinen Glauben und seine Hoffnung einer 956 Seiten dicken Gruft an, und er gab der Welt der Erwachsenen eine einzige Chance, ihn zu erkennen. Als die Welt bei der Prüfung unausweichlich durchfiel, ging er mit seinem Talent zu der archetypisch verlogenen Welt der Werbeabteilungen, als wollte er sagen: «Ihr werdet mich nie dabei erwischen, dass ich wieder etwas erhoffe.» Der moderne Schmerzensschrei wurde zum postmodernen bitteren Scherz. Die Arbeit in der Werbeabteilung war schändlich, aber wenigstens war er sich ihrer Schändlichkeit bewusst. Tatsächlich ist das Wesen der Postmoderne eine kindische Feier der Bewusstheit, eine kindische Angst davor, reingelegt zu werden, eine kindische Überzeugung, dass alle Systeme verlogen sind. Diese Theorie ist schlagend, doch als Lebensform ist sie ein Rezept für Wut. Das Kind wächst ins Riesenhafte, aber es wird nie erwachsen.
Ich glaube, darin steckt eine gute Geschichte. Insoweit, als ich meine, dass es Gaddis’ eigene Geschichte ist, mildert sie meinen Zorn auf ihn, löst diesen Zorn in Trauer auf. Ein solcher Gaddis ist alles andere als eine Karikatur, und eine solche Geschichte würde niemals ins
Simpsons -Format
passen. Für eine solche Geschichte, deren Schwierigkeit die Schwierigkeit des Lebens selbst ist, ist der Roman zuständig.
(2002)
Im Bett mit Büchern
A uf den verführerischen Seiten der
New York Times
, die jeden Morgen, stumm meiner Aufmerksamkeit harrend, auf meinem Frühstückstisch liegt, war unlängst ein, wie mir schien, absolut berechtigter Kommentar von Adam Hochschild über das Grauen des Airport-Fernsehens abgedruckt. «An Flugsteigen, die mit Fernsehern gestraft sind», schrieb Hochschild, «versuchen die meisten Passagiere, sich zu unterhalten, zu arbeiten oder zu lesen. Doch der penetrante Fernsehlärm sickert in die Gespräche und auf das Papier.» Seine Klage trug ihm bald Antworten der Zuspitzer, Bekräftiger und Widerleger ein, der typischen Leserbriefschreiber der
Times
. Ein Zuspitzer schlug vor, die Flughafenfernseher sollten stumm und mit Untertiteln laufen. Ein Bekräftiger schrieb in bewegenden Worten von dem verwandten Grauen, im Kino «Popcorn zu riechen und zu hören»; ein weiterer forderte die Leser auf, doch einmal «den Versuch zu machen, eine Nacht in einem Hotel der mittleren Preisklasse ohne gedämpftes Fernsehgefasel zu verbringen». (Diese Wut, die in dem Wort
Weitere Kostenlose Bücher