Anleitung zum Alleinsein
von Meisterwerken; er beendete es mit einem postmodernen Klamauk, der an der Oberfläche einem Meisterwerk ähnelt, den Leser aber, der versucht, bei der Stange zu bleiben und der Logik des Romans zu folgen, bestraft. Wenn der Leser schließlich sagt: Moment mal, das ist doch kein Meisterwerk, sondern ein heilloses Durcheinander, verwandelt sich das Buch auf der Stelle in ein Performance-Requisit: Seine Betrügerei ist ja der springendePunkt! Und der Leser hat sich im guten Glauben zwanzig Stunden vergeblich bemüht.
Wenn ich mir die beiden posthum erschienenen Bücher von Gaddis anschaue, beschleicht mich ein Gefühl wie damals, als mein Vater im Pflegeheim war. Nur als sehr guter alter Freund sollte man es sich zumuten, ihn so leiden zu sehen. Der Titel seines letzten Romans,
Agapē Agape
(2002), stammt von einem im Tonfall schelmischen und intellektuell zweifelhaften Essay, den er einmal über automatische Klaviere und Mechanisierung in der Kunst zu schreiben versuchte. Das Buch ist jedoch im Wesentlichen ein formloses Geschimpfe,
wo die Sätze, ja, bring die Sätze, bring’s zusammen, mach’s holprig, sogar leichter, als es aussieht aber nein was nein wichtig ist die Kunst
. Ein namenloser Romancier liegt im Sterben, sein Körper ein Wrack, das seinen Intellekt verraten hat. Er hält sich sein Scheitern vor, brandmarkt die populistische «Herde», weil sie ihn missversteht, und sorgt sich, dass man ihn als bloße «Karikatur» wahrnimmt. Doch genau das ist
Agapē Agape
, eine Karikatur: ein einziger hermetischer, obsessiver, mit Zitaten durchsetzter, solipsistischer Absatz, der «das Werk» als «die einzige Zuflucht» vorm schmerzhaften Menschsein glorifiziert. Ich habe beim Lesen praktisch jede einzelne der sechsundneunzig Seiten von
Agapē Agape
gezählt. Dann gab mir der Roman mit seinen letzten Zeilen doch noch einen Stich, Zeilen, die an Gaddis’ frühe Träume vom Nobelpreis erinnern –
Das war die Jugend mit ihrem selbstvergessenen Überschwang, als alles möglich war, verfolgt vom Alter wo wir heute sind und auf das zurückblickend, was wir vernichtet, was wir dem Ich entrissen haben, das mehr konnte, und auf dessen Werk, das mir Feind geworden ist, denn davon kann ich erzählen, von der Jugend, die wahrhaft alles konnte
– aber sie bewegten mich aus ebenjenem Grund, den Gaddis während seiner gesamten schriftstellerischen Laufbahn mit Füßen trat: weil mich der menschliche Scherbenhaufen anrührte. Ich dachte nicht an die Kunst, ich dachte an den Künstler.
Falls Sie sich noch fragen, ob Sie etwas übersehen haben, einen Schlüssel, mit dem sich Gaddis’ Schwierigkeit aufschließen ließe, können Sie sich beruhigen, indem Sie
The Rush for Second Place
lesen, ein schmales Bändchen mit Gaddis’ Essays und Gelegenheitsschriften. Hierin zeigt sich nämlich, dass Gaddis nicht einmal einen kurzen Sachtext beenden kann, ohne ins Schwadronieren zu geraten. Sie werden auf Essays stoßen, die aus aneinandergereihten Zitaten bestehen, die Sie sorgfältig, zweimal, lesen müssen, bevor Sie zu dem Schluss kommen, dass in dem Aneinandergereihten keinerlei Argumentationslinie (oder auch nur Logik) verborgen ist. Sie werden sehen, dass literarische Schwierigkeit für einen Autor, der nichts Interessantes, Kluges oder Unterhaltsames zu sagen hat, durchaus als Nebelwand dienen kann. Sie werden keinen einzigen Verweis darauf finden, dass es ein Vergnügen ist, Literatur zu lesen. Vielmehr werden Sie erfahren, dass Gaddis glaubte, Romane sollten die Welt verbessern – dass gute Literatur nicht davon handle, «wie die Dinge sind», sondern davon, «wie die Dinge sein sollten». Und Sie werden erfahren, dass die Wendung «agapē agape» sich auf seinen Glauben bezieht, die Welt des Kontrakts, die amerikanische Welt der Dollars und Maschinen, habe die Nächstenliebe (agapē), nach der die frühchristlichen Gemeinden strebten, auseinandergerissen.
Oder so ähnlich – es ist ein bisschen unklar. Ich stelle mir vor, wie Gaddis’ Jünger mir mit dem Finger drohen und sagen, ich sei eben auch so ein Dummer Leser, ja wie sie mir erklären, die Essays würden meine Erwartung, Klarheit, Vergnügen, Erbauung zu finden, schlichtweg unterlaufen; dass ich das Ganze wohl einfach noch nicht kapiert hätte. Für sein Schwierigsein bemühen sie postmoderne Apologien wie die von Gregory Comnes:
Das narrative Spiel dieser Epistemologie zeigt dem Leser, wie sehr harte Arbeit eine Vorbedingung dafür ist, einen
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