Anleitung zum Alleinsein
Kind.» Steven Moore hat, zweifellos mit den besten Absichten, eine eindrucksvolle Liste dessen erstellt, was Gaddis gern las und was nicht. Grundsätzlich mochte er keine Kunstliteratur. Wie Moore berichtet, zeigte er «geringes Interesse» an den Zeitgenossen, mit denen er in Verbindung gebracht wurde, darunter Pynchon. «Generell», fasst Moore zusammen, «schien er eher zu einem Roman wie Jay McInerneys
Ein starker Abgang
zu greifen (den er ‹sehr komisch› fand) als zu Romanen, die ebenso fordernd waren wie seine.»
Dem Leser ein schweres Früchtebrot aufzutischen, das man selbst nicht essen würde, dem Leser ein ungemütliches Haus zu bauen, in dem man selbst nicht wohnen wollte: das verletzt, wie mir scheint, den kategorischen Imperativ eines jeden Schriftstellers. Das ist der absolute Bruch des Kontrakts.
Soll
JR
die Behauptung untermauern, dass Amerika grundsätzlich beschissen ist, so lautet die Botschaft von Gaddis’ drittem Roman,
Die Erlöser
(1985), dass es total, total, total beschissen ist. Gaddis selbst räumte ein, das Buch sei «eine Stilübung» und sein Inhalt ausgeführt nach Schema F. Ein telegener Südstaatenprediger erweist sich als – gefährlicher, käuflicher Heuchler! Ein Senator der Vereinigten Staaten erweist sich als – korrupt! Das Buch ist eine leere Hülse. Anders als
Die Fälschung der Welt
wurde es gut besprochen.
Gaddis’ letzter wirklicher Roman,
Letzte Instanz
, ist ein nahezu sechshundert Seiten langes Geschwafel darüber, wie ein System, das Ordnung schaffen soll (die amerikanische Justiz), letztlich Unordnung fördern kann. Das Buch ist ideal fürs Universitätsstudium. Es formuliert eine banale, aber unanfechtbare gesellschaftliche These (wir prozessieren in Amerika zu viel), es ist durchsetzt mit Motiven, Zitaten, Binnengeschichten und zahllosen Anspielungen auf Gaddis’ eigene frühere Werke sowie auf andere berühmte Texte (frischen Sie schon mal Ihren Platon und Longfellow auf), und seine einzige ästhetische Schwäche ist eigentlich die, dass es über weite Strecken repetitiv, wirr und entsetzlich langweilig ist. Natürlich hat dieser Roman von allen Büchern des Autors die freundlichsten Rezensionen bekommen und verschaffte Gaddis einen jener inoffiziellen National Book Awards fürs Lebenswerk.
Das Beste an
Letzte Instanz
sind die juristischen Gutachten und einige Charakterzeichnungen. Eine Figur ausschließlich durch Dialoge zu kreieren ist wie Boxen mit einem Arm auf dem Rücken, und das Argument, das Gaddis anführt, dass nämlich die Strapazierung der eigenen Phantasie eine Figur für uns realer macht, überzeugt mich nicht. (Überhaupt stellt sich mir bei der Arbeit, Gaddis zu lesen, die Frage, ob unser Gehirn nicht eher für das konventionelle Geschichtenerzählen angelegt und strukturell bestrebt ist, aus so nichtssagenden Sätzen wie «Sie stand auf» Bilderzu formen.) Dennoch können seine deduktiv gezeichneten Figuren lebendig sein. Im unordentlichen Leben des Mittfünfzigers Oscar Crease, Amateurdramatiker und Teilzeitprofessor, kreuzen sich eine groteske Anzahl von Gerichtsprozessen. Er lebt in dem großen alten Haus seiner Kindheit auf Long Island, hoffnungslos umzingelt von den diversen Papieren eines ganzen Lebens: wieder eine Karikatur der Entropie. Funktionell gesehen ist Oscar ein Baby. Über weite Strecken des Romans sitzt er im Rollstuhl und tatscht seiner Freundin in dem Bemühen, mit Händen und Mund an ihre Brüste heranzukommen, ständig an der Bluse herum und süffelt Tag und Nacht Wein.
In
Die Fälschung der Welt
wächst ein Sohn auf und verschwindet.
Die Erlöser
, das Buch ohne Kinder, ist ein Buch ohne Hoffnung. Im Zentrum der anderen beiden Romane steht ein sehr großes Kind. In
Letzte Instanz
ist es der selbstsüchtige, unvernünftige, selbstmitleidige, hilflose, unersättliche Oscar, ein Schwein in der Rolle eines Königs, ein leidender Künstler, der (haha!) zufällig über wenig Talent verfügt. Oscar fordert das Mitgefühl des Lesers, nur um es zu missbrauchen. Sein langes Stück über den amerikanischen Bürgerkrieg ist offenkundig schlecht und überhaupt nicht komisch, aber ganze hundert Seiten werden der Wiedergabe des Manuskripts gewidmet und weitere fünfzig einem endlosen Geschwätz über dessen Bezug zu Kunst, Gerechtigkeit und Ordnung. Der Roman ist ein Beispiel für die eigentümlich zersetzende Kraft der literarischen Postmoderne. Gaddis begann seine Karriere mit einem modernen Epos über die Fälschung
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