Anleitung zum Alleinsein
besser geht. Doch kaum fallen die alten Mauern der Repression, haben viele Amerikanerinnen und Amerikaner – abgelegte erste Ehefrauen, die entlassenen Arbeiterinnen einer Trabant-Fabrik vergleichbar sind, oder sexuell unbedarfte Männer, die den Bürokraten der Kommandowirtschaft entsprechen – eine neue Sehnsucht nach den früheren Staatsmonopolen entwickelt. Was sind denn
die Regeln
anderes als ein Versuch, eine Wirtschaft neu zu regulieren, die auf beängstigende Weise Amok läuft?
Bis aber die Regeln allgemeingültig werden, findet man Trost, wie er in der Marktwirtschaft eben zu finden ist, prinzipiell bei Normen. Macht Ihnen die Größe Ihres Penis Sorgen? Laut
Sex: A Man’s Guide
misst bei den meisten Männern der erigierte Penis zwischen zwölf und achtzehn Zentimetern. Sind Sie besorgt wegen der Beschaffenheit Ihrer Klitoris? Laut Betty Dodson und der überarbeiteten Ausgabe ihres
Sex for One: Die Lust am eigenen Körper
sind die Variationen «verblüffend». Besorgt wegen der Häufigkeit? «Die Amerikaner haben kein heimlich überbordendes Sexleben», folgerten die Rechercheure von
Sex in America
. Besorgt wegen der Zeit, die Sie brauchen, um zu kommen? Im Durchschnitt, sagt Sydney Barrows, braucht eine Frau achtzehn Minuten, ein Mann nur drei.
Das Problem daran, sich auf Normen als Trostspender zu verlassen, ist jedoch nicht bloß, dass man sie möglicherweise nicht erfüllen kann, sondern dass man ihnen allen allzu sehr entspricht. Wer will schon sexuell wie jeder andere sein? Möchte ich mich nicht gerade im Schlafzimmer als jemand Besonderes fühlen? Gar einzigartig? Als Letztes will ich doch an die leicht eklige Tatsache erinnert werden, dass im ganzen Land Millionen anderer auch Sex haben. Das ist das Dilemma des Einzelnen, der den Massen gegenübersteht, über die er zwangsläufig mehr weiß, als er gern wissen möchte: Ich will allein sein, aber nicht zu allein. Ich will gleich sein, aber anders.
Sexratgeber sind nur ein Teil der Sexindustrie, man könnte sie aber als ihren repräsentativsten Zweig bezeichnen, da es ja Bücher sind. Begreift man einen sexuellen Fetisch als Verschiebung genitaler Energien, dann ist Sprache, noch mehr als Reizwäsche, die heute bei weitem verbreitetste Paraphilie des Landes. Eine nackte Brust darf im öffentlichen Fernsehen nicht gezeigtwerden, aber dem unterschwellig anzüglichen Gerede über Vergewaltigung, Inzest und sexuelle Belästigung sind keine Grenzen gesetzt. Cybersex und Telefonsex sind viel populärere Arten, Intimflüssigkeiten zu meiden, als es die Verehrung beispielsweise von Knien oder Füßen ist.
Zwar scheinen unsere Sexratgeber-Autorinnen die wachsende Bedeutung der Sprache erkannt zu haben, dennoch trauen sie ihren Leserinnen und Lesern nicht zu, dass sie wissen, wie oder gar wann sie sie benutzen sollen. In
Sex: A Man’s Guide
erfahren wir, dass Liebespartner ermuntert werden können, sich unanständig auszudrücken, indem man sie Listen von «klinischen» und «unanständigen» Begriffen anfertigen und vergleichen lässt. Dr. Block spult fünfundvierzig mögliche Kosenamen für den Penis ab, darunter «Schniepelchen», «Tauchstock» und «Liebespumpe», und gebietet ihren Leserinnen: «Wählen Sie aus.» . (Abenteuerlustigere Gemüter werden aufgefordert, «etwas zu erfinden», das zu ihrem «ganz besonderen Wunderwurm» passt.) Susan Bakos gibt Freunden des Tantra den passenden Einsatz für «geflüsterte Liebesworte» und erteilt Frauen, die unanständig sprechen können wollen, den Rat, sich ein Pornovideo auszuleihen und es aufmerksam zu studieren. «Wenn es Ihnen dann leichtfällt, die Wörter so zu sagen, wie der Drehbuchautor sie geschrieben hat», verrät sie uns, «können Sie sie persönlicher gestalten, damit sie mehr nach Ihnen klingen.»
Die Lektüre eines Buchs, in dem Experten Sex-Tipps geben, dürfte am unteren Ende der Skala erotischer Vergnügungen rangieren – irgendwo unterhalb des Schälens einer Orange und nicht weit über dem Gebrauch von Zahnseide. Ein Problem ist, dass diese Bücher, obwohl sie das genaue Gegenteil beabsichtigen, die Welt des Sex, insgesamt und jedes für sich, sehr klein erscheinen lassen. Macht ja nichts, dass es nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten gibt, Körperteile zusammenzuführen, oder dass Alex Comfort in seinen Werken, die sich über achtzig MillionenMal verkauft haben, so ziemlich alles, was es dazu zu sagen gibt, schon gesagt hat, und zwar besser. Überhaupt gibt es
Weitere Kostenlose Bücher