Anleitung zum Alleinsein
willentlich einer Macht (der Sucht) ausgesetzt, die das Zeug zum Töten hat.
Eine «schockierende» Sammlung «geheimer» Dokumente der Tabakindustrie, die von einem vergrätzten Mitarbeiter von Brown & Williamson offengelegt und nun unter dem Titel
The Cigarette Papers
veröffentlicht wurde, verdeutlicht, dass Big Tobacco schon seit Jahrzehnten wusste, dass Zigaretten todbringend sind und süchtig machen, und alles in seiner Macht Stehende getan hat, um dieses Wissen für sich zu behalten und zu leugnen. Die
Cigarette Papers
und andere jüngste Enthüllungen haben das Justizministerium veranlasst, gegen mehrere Manager der Tabakindustrie Anklage wegen Meineids zu erheben, was diejenigen, die die Branche jetzt verklagen, mit eindeutigem Beweismaterial für den Tatbestand der arglistigen Täuschung ausstatten könnte. Schockierend sind diese Enthüllungen indes mitnichten. Wie konnte jemand, dem auffiel, dass die verschiedenen Marken unterschiedliche (aber gleichbleibende) Nikotinwerte haben, nicht daraus schließen, dass die Industrie die Dosierung beeinflussen kann und es auch tut? Welcher vernünftige Mensch konnte annehmen, dass die öffentlichen Beteuerungen der Industrie, «Zweifel» an der Tödlichkeit ihrer Produkte zu haben, etwas anderes als obligatorische, rituelle Lügen waren? Falls Ermittler ein Geheimdokument zutage fördern würden, das beweist, dass Bill Clinton den zugegebenen Joint doch inhaliert hat, wären wir dann schockiert? Wenn Sprecher der Tabakindustrie die Integrität des Gesundheitsministers bezweifeln und beharrlich das Unbestreitbare bestreiten, machen sie sich weniger des Betrugs als vielmehr eines Sprechgebarens auf dem Niveau von (um das Wort eines von Kluger zitierten Managers aufzugreifen) «Neandertalern» schuldig.
«Die schlichte Wahrheit war», schreibt Kluger, «dass die Zigarettenhersteller immer reicher wurden, je höher sich die Stapel der wissenschaftlichen Erkenntnisse gegen sie auftürmten, und noch bevor jemand die Lage so richtig erfasste, schien ihr Handlungsspielraum auf jämmerliche Geständnisse und die Kapitulationvor den Gesundheitsverfechtern oder auf standhaftes Leugnen und Erklären verengt.» Anfang der fünfziger Jahre, als epidemologische Studien erstmals den Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs nachwiesen, hatten die Zigarettenproduzenten durchaus die Möglichkeit, ihre Unternehmen zu liquidieren und sich andere Betätigungsfelder zu suchen. Aber viele dieser Produzenten stammten aus Familien, die über Jahrzehnte ehrbaren Handel mit Tabak getrieben hatten, und die meisten scheinen selbst starke Raucher gewesen zu sein; anders als der typische Heroingroßhändler gingen sie bereitwillig dasselbe Risiko ein, das sie ihren Kunden zumuteten. Da sie außerdem noch in der Firmenleitung saßen, galt ihre Loyalität in erster Linie den Aktionären. Wenn der bloße Verbleib im Unternehmen schon eine Schuld darstellt, dann muss der Kreis derjenigen, die mitschuldig sind, auf jeden ausgeweitet werden, der nach 1964 noch Anteile an einem Tabakunternehmen hielt, sei es direkt oder im Rahmen eines Rentenfonds, eines Investmentfonds oder einer Universitätsstiftung. Hinzu kämen jeder Drugstore und Supermarkt, die Zigaretten verkauften, und jedes Druckerzeugnis, in dem sie Anzeigen schalteten; schließlich waren die Warnhinweise des Gesundheitsministers dort für jedermann zu sehen.
Nachdem die Unternehmen sich entschieden hatten weiterzumachen, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Anwälte auf den Plan traten. Nichts geht aus
Ashes to Ashes
deutlicher hervor als der torpedierende Einfluss von Rechtsberatern auf das Vorgehen der Tabakindustrie. Viele in der Branche tätige Wissenschaftler und einige Manager hatten offenbar den aufrichtigen Wunsch, eine unbedenklichere Zigarette herzustellen und die bekannten Risiken des Rauchens offen einzugestehen. Doch paradoxerweise bewirkten die Bemühungen der Tabakindustrie, Verbesserungen zu erreichen, ebenso das Gegenteil wie die Bemühungen der Regierung, regulierend einzugreifen. Als Verantwortliche des Bereichs Forschung & Entwicklung anregten,Filterzigaretten und einen reduzierten Teer- und Nikotingehalt als potentiell gesundheitsfördernd zu vermarkten, wandten die Justitiare ein, dass die Bezeichnung einer Marke als «unbedenklich» oder «unbedenklicher» das Eingeständnis beinhalte, dass andere Marken schädlich seien, weswegen der Hersteller mit Schadenersatzklagen rechnen müsse. Ähnlich verhielt es
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