Anleitung zum Alleinsein
zerquetscht werden, oder scheinbar handgekurbeltes Filmmaterial von Zimmermädchen, die sich zur Melodie von «You’ve got your own cigarette now, baby» heimlich eine anstecken –, war für mich in der Kindheit eine lebenswichtige Belustigung. Auch an das skandierte «Silva Thins, Silva Thins» erinnere ich mich, das Mantra für eine kurzlebige Marke von American Tobacco, das das weibliche Marktsegment mit grauenhaften Sprüchen wie «Zigaretten sind wie Mädchen, die besten sind schlank und reich» einlullen sollte.
Die erfolgreichste Kampagne überhaupt war natürlich die für Marlboro, eine höherwertige Damenzigarette, die Philip Morris 1954 in einer Filterversion für die breite Masse wieder auf den Markt warf. Wie alle modernen Produkte wurde auch die neue Marlboro akribisch konzipiert. Man machte die Tabakmischung herber, damit der Geschmack unter dem abschwächenden Filter nicht litt, man sorgte dafür, dass die «Flip-top»-Schachtel in den nationalen Wortschatz einging, die Farbe Rot wurde gewählt, um kräftiges Aroma zu signalisieren, und am Graphischen wurde endlos herumgebastelt, bis man sich auf das endgültige Ausseheneinschließlich des Wappenimitats mit dem Helmbusch und dem Motto
Veni, vidi, vici
einigen konnte; in vier Städten gab es sogar Markttests, bevor hinsichtlich der Farbe des Filters eine Entscheidung fiel. Den wahren Geistesblitz hatte jedoch Leo Burnett mit seiner Anzeigenkampagne für Marlboro. Der Schlüssel zum Erfolg war ihre Transparenz. Man stelle eine einsame Ranch vor einen Hintergrund aus Hügeln bei Sonnenuntergang, und das Bild wird praktisch jede positive Assoziation transportieren, die eine Zigarette nur auslösen kann: rauen Individualismus, maskuline Sexualität, Flucht aus der urbanen Modernität, kräftigen Geschmack, das intensive Erlebnis des Lebens. Marlboro markiert den Übergang unserer Kommerzkultur von einem Zeitalter der Verheißungen zu einem Zeitalter der angenehmen, leeren Träume.
Es überrascht nicht allzu sehr, dass ein Unternehmen, das clever genug ist, so gute Werbung zu machen, in nur drei Jahrzehnten zur Hegemonialmacht in der Branche aufstieg. Klugers Darstellung des Triumphs von Philip Morris ist der Stoff, den Wirtschaftsfakultäten ihren Studenten zur Erbauung und Inspiration zum Lesen geben: Um mit einem amerikanischen Unternehmen Erfolg zu haben, könnte die Lektion lauten, machen Sie es wie Philip Morris. Konzentrieren Sie sich auf das Produkt mit der höchsten Gewinnspanne. Konzipieren Sie ein neues Produkt mit Sorgfalt, machen Sie sich dann stark dafür, und drücken Sie es
mit aller Kraft in den Markt
. Setzen Sie Überschüsse ein, um in Geschäftsbereiche zu diversifizieren, die dem eigenen strukturell ähnlich sind. Seien Sie eine Meritokratie. Bieten Sie so hoch, dass keiner mithalten kann. Vermeiden Sie lähmende Schulden. Bauen Sie geduldig Ihre Auslandsmärkte auf. Zögern Sie nie, Ihre Kunden zu übervorteilen, wenn Sie die Gelegenheit dazu sehen. Hetzen Sie Anwälte auf Ihre Kritiker. Zeigen Sie Klasse – sponsern Sie das
Mahabharata
. Verachten Sie herkömmliche Moral. Vergessen Sie nie, dass Ihre oberste Loyalität Ihren Aktionären gilt.
Als der Hauptkonkurrent, die R. J. Reynolds Tobacco Company in Winston-Salem, North Carolina, zunehmend in Lethargie und internen Querelen versank – sie sackten ins Billigzigarettengeschäft ab, wo die Gewinnmarge gering ist, diversifizierten katastrophal und standen nach ihrer Übernahme durch Kohlberg Kravis Roberts & Company vor einem gewaltigen Schuldenberg –, wurde Philip Morris Weltmarktführer in der Zigarettenbranche und eines der profitabelsten Unternehmen überhaupt. Anfang der neunziger Jahre betrug sein Anteil am amerikanischen Nicht-Discount-Zigarettenmarkt achtzig Prozent. Der Wert eines Aktienpakets von Philip Morris stieg zwischen 1966 und 1989 um den Faktor 192. Gesund, reich und klug derjenige, der 64 zu rauchen aufhörte und sein Zigarettengeld in Philip Morris steckte.
Der spektakuläre Erfolg des Unternehmens ist umso bemerkenswerter, weil er sich in den Jahrzehnten einstellte, als das wissenschaftliche Belastungsmaterial gegen die Zigarette erdrückend wurde. Nichts in der Moderne, außer vielleicht der Wasserstoffbombe, erzeugt mehr Paradoxa als die Zigarette. Daher erwies sich 1955 die Absicht der Bundeshandelskommission, durch das Verbot von Angaben zum Teer- und Nikotingehalt irreführende Werbung zu begrenzen, als Glücksfall für die Branche,
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