Anleitung zum Alleinsein
bezweifle ich nicht, dass die Tabakindustrie mit ihrer Werbung junge Amerikaner erreichen will. Wohl aber bezweifle ich, dass diese Werbung eine nennenswerte Anzahl von Kindern zum Rauchen verführt. Der unsichere oder entfremdete Teenager, der sich zum ersten Mal eine Zigarette ansteckt, reagiert auf den Druck der gleichaltrigen Freunde oder auf das Beispiel von Erwachsenen-Rollenbildern – Filmschurken, Rockstars, Supermodels. Die Zigarettenwerbung wirkt allenfalls als Rückversicherung, dass Rauchen eine gesellschaftlich akzeptierte Aktivität von Erwachsenen ist. Allein aus diesem Grund sollte sie wahrscheinlich verboten oder strenger kontrolliert werden, so wie Zigarettenautomaten verboten werden sollten. Die meisten, die mit dem Rauchen anfangen, bereuen es irgendwann, weshalb jedes Vorgehen löblich ist, das die Anzahl der Einsteiger reduziert.
Dass Zigaretten auf Teenager auch einfach so einen Reiz ausüben, ist den Herstellern kaum in die Schuhe zu schieben. Inden letzten Wochen sind mir etliche Zeitungsanzeigen gegen das Rauchen aufgefallen, die, einer Schockwirkung halber, das Bild eines vorpubertären Mädchens mit einer Zigarette zeigen. Die Modelle sind offensichtlich keine echten Raucherinnen, und dennoch werden sie von ihrer Zigarette vollkommen sexualisiert. Das Erschreckende an rauchenden Minderjährigen verschleiert das Erschreckende an Teenager- und Kindersexualität, und einer der größten schönen leeren Träume, die neuerdings von den Werbern der Madison Avenue verbreitet werden, ist der, dass ein Kind vor seinem achtzehnten Geburtstag unschuldig ist. In Wahrheit aber treffen Teenager ohne strenge elterliche Anleitung alle möglichen unwiderruflichen Entscheidungen, bevor sie alt genug sind, um die Folgen abzuschätzen – sie schmeißen die Schule, sie werden schwanger, sie studieren Soziologie. Vor allem aber wollen sie die Freuden des Erwachsenseins kosten, also Sex, Alkohol oder Zigaretten. Der Zigarettenwerbung eine «raubtierhafte» Macht zu unterstellen heißt daher zuzugeben, dass Eltern heute weniger Einfluss auf die moralische Erziehung ihrer Kinder haben als die Kommerzkultur. Auch hier beschleicht mich der Verdacht, dass die Tabakindustrie zum Sündenbock gemacht wird – dass sie die weit umfassendere Wut über die Ablösung der Familie durch die Gesellschaft am stärksten abbekommt.
Das entscheidende Argument für die moralische Schuld von Big Tobacco ist, dass Sucht eine Form von Nötigung sei. Nikotin ist ein Giftstoff, dessen Aufnahme zur Folge hat, dass das Gehirn des Rauchers zur Abwehr dieses Gifts seine Chemie verändert. Ist die Gehirnchemie erst mal verändert, muss sich der Raucher weiter regelmäßig Nikotin zuführen, um das neue chemische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Das alles wissen die Tabakunternehmen sehr wohl, und ein von Kluger zitierter Anwalt fasst die rechtlichen Voraussetzungen für Nötigung wie folgt zusammen: «Ihr habt mich süchtig gemacht, und ihr habt gewusst, dass es süchtig macht, und jetzt sagt ihr, ich sei selber schuld.»Wie Kluger aber weiter ausführt, ist diese Argumentation nicht wasserdicht. Noch bevor jedermann wusste, dass Rauchen beispielsweise Krebs verursacht, wusste man, dass man vom Rauchen nur sehr schwer wieder loskommt. Die Nikotinverträglichkeit eines Menschen ist überdies sehr unterschiedlich, und die Tabakindustrie bietet schon seit langem eine breite Auswahl an Marken mit ultraniedrigen Werten an. Und schließlich ist keine Sucht unüberwindbar: Jahr für Jahr hören Millionen Amerikaner mit dem Rauchen auf. Wenn ein Raucher sagt, er wolle aufhören, schaffe es aber nicht, sagt er eigentlich: «Ich will aufhören, aber noch mehr will ich nicht die Qualen des Entzugs erleiden.» Das Gegenteil zu behaupten hieße, jeden noch vorhandenen Gedanken an Eigenverantwortung über Bord zu werfen.
Wäre die Nikotinsucht rein körperlich, dann könnte man relativ leicht aufhören, da die akuten Entzugssymptome, das körperliche Verlangen danach, selten länger als ein paar Wochen anhalten. Als ich vor sechs Jahren aufhörte, konnte ich über Wochen am Stück nikotinfrei sein, und selbst bei der Arbeit rauchte ich nur selten mehr als ein paar Ultraleichte am Tag. Doch sowie ich beschloss, die Zigarette, die ich am Tag davor geraucht hatte, solle meine letzte gewesen sein, war ich völlig erledigt. Ein Monat verging, in dem ich zu aufgewühlt war, um ein Buch zu lesen, zu hibbelig, um mich auch nur auf die Zeitung
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