Anleitung zum Alleinsein
sich, als man bei Liggett in den siebziger Jahren Millionen Dollar in die Entwicklung einer beträchtlich weniger Krebs erregenden «Palladiumzigarette» steckte, denn die Justitiare behandelten sie wie eine ansteckende Krankheit. Vom Standpunkt der Haftbarkeit aus sei es schlecht, sie zu vermarkten, und sie zu entwickeln und dann
nicht
zu vermarkten sei noch schlechter, weil die Firma dann wegen fahrlässiger Unterlassung, sie auf den Markt zu bringen, verklagt werden könne. Die Epic, wie die neue Zigarette heißen sollte, wurde schließlich unter Rechtsgutachten erstickt.
Kluger beschreibt eine Branche, in der eine anwaltliche Paranoia in jedem lebenswichtigen Unternehmensteil rasch Metastasen bildete. Anwälte brieften die Manager, die vor Kongressausschüssen aussagten, überwachten die bestürzend eigennützige «unabhängige» Forschung, die von der Tabakindustrie gesponsert wurde, und sorgten dafür, dass man sämtliche Papiere, die mit Studien zu Sucht oder Krebs zu tun hatten, über externe Anwälte schleuste, damit sie durch die anwaltliche Schweigepflicht geschützt waren. Das Ergebnis war eine seltsame Wiederholung der beiden sich widersprechenden Versionen, mit denen ich als Raucher mir mein Leben erkläre: eine wahre Geschichte, die hinter einer zweckmäßigen Fiktion verborgen ist. Ein langjähriger Manager bei Philip Morris fasst dies, von Kluger zitiert, wie folgt zusammen:
Im Unternehmen gab es einen Konflikt zwischen Wissenschaft und Recht, der nie aufgelöst wurde … und so führen wir einen rituellen Tanz auf – was ist «bewiesen»und was nicht, was ist kausale Folge von etwas, und was ist nur Idee –, und die Antwort der Anwälte ist: «Wir mauern.» … Wenn es nach Helmut Wakeham [dem Leiter des Bereichs F&E] gegangen wäre, hätte es wohl einige Eingeständnisse gegeben. Doch er wurde von den Anwälten ausgetrickst, … die … in etwa sagten: «Mein Gott, dieses Eingeständnis können Sie nicht machen», ohne Schadenersatzklagen gegen die Firma zu riskieren. Es gab also keinen einheitlichen Plan – wenn Kritiker der Tabakindustrie von einer «Verschwörung» sprechen, überschätzen sie die Unternehmen gewaltig.
In dem auf den Kopf gestellten moralischen Universum eines Schadenersatzprozesses gegen eine Zigarettenfirma wird jede ehrliche oder Besorgnis ausdrückende Erklärung eines Managers dazu benutzt, die Schuld des Beklagten zu beweisen, während jedes kalkulierte Ausweichmanöver dessen Unschuld belegt. Da ist etwas ganz und gar verquer, doch mangels eines Beweises, dass die Amerikaner die Lügen der Branche tatsächlich geschluckt haben, ist es alles andere als klar, dass man dieses Etwas als Mord betrachten muss.
Belastender sind da schon jüngste Berichte über das Anwerben minderjähriger Raucher durch die Tabakindustrie. Vertreter der Lorillard Tobacco Company wurden dabei beobachtet, wie sie an Kinder in Washington kostenlose Newport-Zigaretten verteilten: Philip J. Hilts nennt in seinem Buch
Smoke Screen
Beweise dafür, dass R. J. Reynolds spezielle Werbedisplays vorzugsweise in Läden und Kiosken platzierte, die gern von Oberschülern aufgesucht werden, und das knuddlige, penisköpfige Kamel Joe Camel ist gewiss eine der abscheulichsten Erscheinungen, die je unsere kulturelle Landschaft betreten haben. Die Tabakunternehmen behaupten, sie kämpften lediglich um Marktanteile in der wichtigen Altersgruppe der Achtzehn- bis Vierundzwanzigjährigen,doch die von Hilts beschriebenen internen Dokumente der Tabakindustrie lassen den Schluss zu, dass zumindest eine kanadische Firma richtiggehend Studien betrieben hat, wie sich Raucher im Einstiegsalter von zwölf Jahren am besten ansprechen lassen. (Hilts zufolge zeigen Studien, dass neunundachtzig Prozent aller heutigen erwachsenen Raucher sich das Rauchen vor dem neunzehnten Lebensjahr angewöhnt haben.) Nach Meinung der Nichtraucher-Aktivisten fängt die Zigarettenwerbung junge Kunden damit ein, dass sie Bilder von sorglosen, attraktiven erwachsenen Rauchern zeigt, ohne auf die Verheerungen hinzuweisen, die das Rauchen anrichtet. Wenn junge Raucher dann alt genug sind, um zu erkennen, was Sterblichkeit bedeutet, sind sie der Sucht schon hoffnungslos verfallen.
Auch wenn der Gedanke, ein Hersteller könne bereit sein, auf die Nachteile seines Produkts hinzuweisen, absurd ist – man stelle sich vor, McDonald’s würde Bilder von Fettleibigkeit oder verkalkten Arterien verbreiten –,
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