Anleitung zum Alleinsein
einzulassen. Ein weiterer Monat verging, bis ich die Konzentration aufbrachte, einen beiläufigen Brief an einen Freund zu schreiben. Hätte ich damals eine Anstellung gehabt oder eine Familie, für die ich hätte sorgen müssen, dann hätte ich den psychischen Entzug vielleicht kaum gespürt. Doch zufällig war mein Leben zu der Zeit nicht sonderlich ereignisreich. «Rauchen Sie?», fragt Lady Bracknell Jack Worthing in Oscar Wildes Komödie
Ernst – und seine tiefere Bedeutung
, und als er das bejaht, antwortet sie: «Das freut mich zu hören. Ein Mann sollte stets mit irgendetwas beschäftigt sein.»
Es gibt keinen einfachen, allgemeingültigen Grund dafür, warum Leute rauchen, aber eines steht für mich fest: Sie tun es nicht, weil sie vom Nikotin abhängig sind. Dass mich das Rauchen reizt, liegt wohl am ehesten daran, dass ich einer Personengruppe angehöre, deren Leben unzureichend strukturiert ist. Auch Geisteskranke und Mittellose gehören dazu. Wir öffnen uns einem so tödlichen, in einem Aerosol aus Kohlenwasserstoffen und Nitrosaminen suspendierten Giftstoff wie Nikotin, weil wir noch keine Freuden oder Routinehandlungen gefunden haben, die den tröstlichen, strukturierenden Rhythmus aus Bedürfnis und Befriedigung ersetzen können, den eine Zigarette bietet. Ein Wort für diese Strukturierung könnte «Selbstmedikation» sein, ein anderes «Zurechtkommen». Doch es gibt nur wenige starke Raucher über dreißig, vielleicht auch keine, die wegen der Schäden, die sie sich zufügen, kein schlechtes Gewissen haben. Sogar Rose Cipollone, die Frau aus New Jersey, deren Erben Anfang der achtziger Jahre eine Schadenersatzklage gegen die Industrie beinahe durchgebracht hätten, musste von einem Aktivisten mobilisiert werden. Die sechzig Anwaltskanzleien, die nun ihre geballte Kraft in einer im Namen aller amerikanischen Raucher formulierten Sammelklage gebündelt haben, kommen mir nicht wesentlich weniger raubtierhaft vor als die Justitiare der Tabakindustrie. Mir ist noch kein Raucher begegnet, der die Schuld an seiner Sucht auf jemand anderen geschoben hat.
Die Vereinigten Staaten als Ganzes gleichen einer Suchtpersönlichkeit, deren unternehmerisches Es seinen schmutzigen Geschäften nachgeht, während sein gespaltenes politisches Ego klagt und schwankt. Klar ist, dass es der Tabakindustrie dreißig Jahre nach dem ersten Bericht des Gesundheitsministeriums nicht noch immer gutgehen würde, wenn unsere Legislative nicht käuflich wäre, wenn die Begriffe Ehre und Eigenverantwortung nicht weitgehend der Macht von Rechtsstreitigkeiten und des Dollars nachgegeben hätten und wenn das Land nicht grundsätzlichgut fände, dass ein Unternehmen in letzter Konsequenz nicht der Gesellschaft, sondern dem Saldo verpflichtet ist. Zweifellos haben sich manche Zigarettenhersteller verachtenswert verhalten, und dass die Verfechter des Gemeinwohls diese Zigarettenhersteller hassen, so wie der Nikotinsüchtige irgendwann seine Zigaretten hasst, ist nur natürlich. Doch sie als moralische Monster hinzustellen – als Punktquelle des Bösen – ist nur eine andere Form der Primetime-Unterhaltung.
Indem die Tabakindustrie ihre Seele an die Rechtsberater verkaufte, offenbarte sie, und zwar vor langem, ihre Erwartung, dass das Raucherproblem des Landes irgendwann vor Gericht gelöst werden würde. Schon bald könnte sie in einem Schadenersatzprozess so verheerende Verluste erleiden, dass es sich danach nur noch ausländische Zigarettenhersteller leisten könnten, bei uns Geschäfte zu machen. Vielleicht wird es auch einmal ein Bundesgericht auf sich nehmen, die Lösung eines Problems, dem sich die Politik eindeutig nicht gewachsen gezeigt hat, in ein Gesetz zu gießen, und wird der Oberste Gerichtshof ein Urteil fällen, das für das Thema Rauchen dasselbe bewirkt, was die Prozesse
Brown gegen Die Erziehungsbehörde
für die Rassentrennung und
Roe gegen Wade
für die Abtreibung bewirkt haben.
Auch wenn Liggetts unlängst eingeknickt ist, dürften die von fünf U S-Staaten angestrengten Medicare-Prozesse das Verhalten der Tabakindustrie wohl kaum ändern. Kluger merkt an, dass das Ansinnen der staatlichen Gesundheitsfürsorge durchaus auf «verkappte Schadenersatzansprüche wegen Körperverletzung» hinauslaufen könnte, der Oberste Gerichtshof aber längst entschieden hat, dass Bundesgesetze zur Etikettierung von Zigarettenpackungen mit Warnhinweisen ein wirksamer Schutz gegen solche Klagen sind. Mit anderen Worten: Es
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