Anleitung zum Müßiggang
also, was wir tun, wenn wir eine Zigarettenpause machen und ekstatisch zur Bürotür heraustreten.
Wie das Angeln bringt das Rauchen Tätigkeit und Untätigkeit miteinander in Einklang. Wenn man raucht, tut man nicht nichts, man raucht. Man ist gleichzeitig beschäftigt und bewegungslos. Dieses Paradox fasst Oscar Wilde in The Importance of Being Earnest (1899) eloquent in Worte:
LADY BRACKNELL: ... Rauchen Sie?
JACK: Nun, ja, ich muss zugeben, dass ich rauche.
LADY BRACKNELL: Das freut mich zu hören.
Ein Mann sollte stets irgendeine Beschäftigung haben.
Rauchen und Nichtstun gehen teilweise Hand in Hand, weil es fast unmöglich ist, beim Rauchen körperliche Arbeit zu verrichten (freilich sehr gut möglich zu denken). »Der Raucher von Zigaretten muss immer, jeden Augenblick zwei Hände und auch Lippen freihaben; er kann daher weder jemand Strebsames noch ein Arbeiter, noch, mit sehr wenigen Ausnahmen, ein Dichter oder Künstler sein; jede Arbeit ist ihm untersagt, selbst das unsagbare Vergnügen des Beischlafs.« Das schrieb im Jahr 1890 Théodore de Banville, der französische Kritiker und Freund der Raucher Baudelaire und Manet.
Die Franzosen neigen sehr zur geistigen Betrachtung von Abstrakta, und so überrascht es nicht, dass sie besonders gut im Rauchen sind. Jeder Schuljunge, der ein Intellektueller sein will, bewahrt das berühmte Foto von Albert Camus im Gedächtnis, auf dem er mit seinem hochgeschlagenen Kragen, eine Zigarette zwischen den Lippen und dem Ausdruck amüsierter Distanziertheit im Gesicht ausgesprochen bogartisch aussieht. Und als sein Existentialistenkollege Jean Paul Sartre in den vierziger Jahren von einer Zeitschrift gebeten wurde, die wichtigsten Dinge in seinem Leben zu nennen, antwortete er: »Ich weiß nicht. Alles. Leben. Rauchen.« Wir könnten sogar sagen, dass Rauchen tatsächlich das Sein und das Nichts zusammenbringt: denn beim Rauchen kann man wirklich für einen Augenblick sein , aber Rauchen ist auch ein Nichts, es hat keinen praktischen Nutzen. Ein Franzose war es auch, der den Satz geprägt hat: »La cigarette: faire vivre tout en tuant« – die Zigarette lässt einen sich lebendig fühlen, während sie einen tötet.
In Frankreich ist die Ikonografie des Rauchens eng mit der Idee von Freiheit und Ungezwungenheit verknüpft. In Frankreich gibt es Zigarettenpapiere namens Le Zouave mit einem Bild des türkischen Soldaten; man findet Zigeunerdarstellungen auf den Gauloises, eine Art Bizetschen Carmen-Typ, eine gefährliche Frau. Mit der Ausnahme von Camel gibt es auf englischen und amerikanischen Zigarettenpackungen überhaupt keine Bilder. Man verlässt sich auf die Typografie. (Und hast du es auch schon bemerkt: je billiger die Zigarette, desto größer der Name. Camels sind teuer, Mayfair und Superkings sind billig.)
Das Rauchen als Ausdruck des Freiheitswillens behandelt Virginia Nicholson in ihrer Studie über die radikalen Schriftsteller und Künstler in England am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, Among the Bohemians (2002):
Tabakrauchen galt bei männlichen Bohemiens lange als eine Tätigkeit von elementarer Bedeutung, fast als eine poetische Initiation. Wie das Rauchen von Marihuana in einer späteren Epoche wurde es von Théophile Gautiers romantischen Zeitgenossen in Vers und Prosa gefeiert. Arthur Ransome bezeichnete Reden, Trinken und Rauchen als die drei unverzichtbaren Freuden des Lebens – zu genießen in der Gesellschaft von »einem halben Dutzend Freunden«.
Und so war es nur natürlich, dass das Rauchen auch von kampfbereiten Frauen in der Zeit an der Schwelle zum Feminismus aufgegriffen wurde:
Doch Frauen hatten etwas dagegen, von solchen Freuden ausgeschlossen zu werden, und bald drangen kühne Frauen Stumpen schwingend in Ransomes männliche Oasen ein. [Die zeitgenössische Romanschriftstellerin] Ethel Mannin erinnert sich, wie schamlos dieses Verhalten in den frühen Jahren erschien: »Es muss im Jahr 1916 oder 1917 gewesen sein, nicht später. Das Mädchen, das meiner Erinnerung nach Monica hieß, gab mir aus einem kleinen Päckchen eine türkische Zigarette der Marke De Reszke, und so saßen wir beiden Mädchen nun lasterhaft da, mit unserer Kanne Tee und unseren getoasteten Gerstenküchlein und rauchten, und das in aller Öffentlichkeit ...«
Dieses Verlangen nach Unabhängigkeit machten sich in den zwanziger Jahren die Hersteller der Lucky Strike zunutze, die in einem erfolgreichen Versuch, weibliche Raucher anzulocken, ihre
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