Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
oder grundlos ist, spielt keine Rolle –, daß die anderen über einen tuscheln und sich heimlich lustig machen. Angesichts dieser »Tatsache« legt es der gesunde Menschenverstand nahe, den Mitmenschen nicht zu trauen und, da das Ganze natürlich unter einem löchrigen Schleier der Verheimlichung geschieht, genau aufzupassen und auch die kleinsten Indizien in Betracht zu ziehen. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis man die anderen beim Tuscheln und heimlichen Lachen, beim konspiratorischen Augenzwinkern und gegenseitigen Zunicken ertappen kann. Die Prophezeiung hat sich erfüllt.
Allerdings funktioniert dieser Mechanismus nur dann wirklich klaglos, wenn Sie sich Ihres eigenen Beitrags dazu nicht Rechenschaft ablegen. Wie Sie aber in den letzten Kapiteln gelernt haben sollten, ist das nicht zu schwierig. Und außerdem, wenn die Sache einmal eine Zeitlang läuft, ist es ohnedies nicht mehr feststellbar und auch gar nicht wesentlich, was zuerst kam: Ihr für die anderen lächerlich mißtrauisches Gehabe oder das Gehabe der anderen, das Sie mißtrauisch macht.
Selbsterfüllende Prophezeiungen haben einen geradezu magischen, »wirklichkeits«-schaffenden Effekt und sind daher für unser Thema sehr wichtig. Und sie haben ihren Stammplatz nicht nur im Repertoire jedes Unglücklichkeitsaspiranten, sondern auch im größeren gesellschaftlichen Rahmen. Wird zum Beispiel einer Minderheit der Zugang zu bestimmten Erwerbsquellen (etwa Landwirtschaft oder Handwerk) deswegen verwehrt, weil diese Menschen nach Ansicht der Mehrheit faul, geldgierig und vor allem »volksfremd « sind, so werden sie dazu gezwungen, sich als Trödler, Schmuggler, Pfandleiher und dergleichen zu betätigen, was die abschätzige Meinung der Mehrheit »klar« bestätigt. Je mehr Verbotsschilder die Polizei aufstellt, desto mehr Fahrer werden zu Verkehrssündern, was die Aufstellung weiterer Verbotsschilder »notwendig« macht. Je mehr eine Nation sich vom Nachbarn bedroht fühlt, desto mehr wird sie sich zu ihrer Verteidigung rüsten, und desto mehr wird die Nachbarnation ihre eigene Aufrüstung für das Gebot der Stunde halten. Der Ausbruch des (längst erwarteten) Krieges ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Je höher die Steuersätze eines Landes hinaufgeschraubt werden, um für die Hinterziehungen der natürlich für unehrlich gehaltenen Steuerzahler zu kompensieren, desto mehr werden auch ehrliche Bürger zum Schwindeln veranlaßt. Jede von einer genügend großen Zahl von Menschen geglaubte Prophezeiung der bevorstehenden Verknappung oder Verteuerung einer Ware wird (ob die Voraussage »faktisch« richtig ist oder nicht) zu Hamsterkäufen und damit zur Verknappung oder Verteuerung der Ware führen.
Die Prophezeiung des Ereignisses führt zum Ereignis der Prophezeiung. Voraussetzung ist nur, daß man sich selbst etwas prophezeit oder prophezeien läßt und daß man es für eine unabhängig von einem selbst bestehende oder unmittelbar bevorstehende Tatsache hält. Auf diese Weise kommt man genau dort an, wo man nicht ankommen wollte. Doch der Fachmann weiß, wie er das Ankommen vermeiden kann. Davon sei nun die Rede.
Vor Ankommen
wird gewarnt
I t is better to travel hopefully than to arrive , zitiert R. L. Stevenson die Weisheit eines japanischen Sprichworts. Wörtlich übersetzt heißt das natürlich: Es ist besser, hoffnungsfroh zu reisen, als anzukommen; etwas sinngemäßer: Im Aufbruch, nicht am Ziele liegt das Glück.
Die Japaner sind freilich nicht die einzigen, denen vor dem Ankommen nicht recht geheuer ist. Schon Laotse empfahl, das Werk zu vergessen, sobald es beendet ist. Auch der Ire Oscar Wilde kommt einem zu diesem Thema in den Sinn, mit seinem berühmten, oft plagiierten Aphorismus: »Im Leben gibt es zwei Tragödien. Die eine ist die Nichterfüllung eines Herzenswunsches. Die andere ist seine Erfüllung.« Hermann Hesses Verführer fleht die Verkörperung seines Begehrens an: »Wehr dich, du schöne Frau, straff dein Gewand! Entzücke, quäle – doch erhör mich nicht!«, denn er weiß, »daß jede Wirklichkeit den Traum vernichtet«. Weniger poetisch, dafür um so ausführlicher, hat sich Hesses Zeitgenosse Alfred Adler mit diesem Problem herumgeschlagen. Sein Werk, dessen Wiederentdeckung überfällig ist, befaßt sich unter anderem eingehend mit dem Lebensstil der ewig Reisenden und vorsichtshalber lieber nicht Ankommenden.
Sehr frei nach Adler sind die Regeln dieses Spiels mit der Zukunft ungefähr
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