Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er »Guten Tag« sagen kann, schreit ihn unser Mann an: »Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!«
Die Wirkung ist großartig, die Technik verhältnismäßig einfach, wenn auch keineswegs neu. Schon Ovid beschrieb sie in seiner Liebeskunst – wenn auch leider nur im positiven Sinne: »Rede dir ein, du liebst, wo du flüchtig begehrest. Glaub es dann selbst … Aufrichtig liebt, wem’s gelang, sich selbst in Feuer zu sprechen.«
Wer dem Ovidschen Rezept folgen kann, sollte keine Schwierigkeit haben, diesen Mechanismus im Sinne unseres Leitfadens anzuwenden. Wenige Maßnahmen eignen sich besser zur Erzeugung von Unglücklichkeit als die Konfrontierung des ahnungslosen Partners mit dem letzten Glied einer langen, komplizierten Kette von Phantasien, in denen er eine entscheidende, negative Rolle spielt. Seine Verwirrung, Bestürzung, sein angebliches Nichtverstehen, seine Ungehaltenheit, sein Sich-herausreden-Wollen aus seiner Schuld sind für Sie die endgültigen Beweise, daß Sie natürlich recht haben, daß Sie Ihre Gunst einem Unwürdigen schenkten und daß Ihre Güte eben wieder einmal mißbraucht wurde.
Auch der virtuosesten Anwendung jeder Technik sind natürlich Grenzen gesetzt, und die Moral von der Geschichte mit dem Hammer ist keine Ausnahme. Der Soziologe Howard Higman von der Colorado-Universität spricht in diesem Zusammenhang von der »unspezifischen Besonderheit« (non-specific particular) und deren Rückanwendung auf den Partner. Laut ihm neigen Ehefrauen zum Beispiel dazu, aus einem Nebenzimmer »Was ist das?« zu rufen. Sie erwarten, daß der Mann aufsteht und hinübergeht, um herauszufinden, was sie meint, und in dieser Erwartung werden sie selten enttäuscht. Einem ihm befreundeten Ehemann gelang es aber, dieser archetypischen Situation einen neuen Dreh zu verleihen, indem er den Spieß umkehrte. Er saß in seinem Studierzimmer, als seine Frau quer durch das Haus rief: »Ist es angekommen?« Obwohl der Mann keine Ahnung hatte, was »es« war, antwortete er: »Ja.« Darauf wollte sie wissen: »Und wo hast du es hingetan?«, und er rief zurück: »Zu den andern.« Zum erstenmal in seiner Ehe konnte er darauf stundenlang ungestört arbeiten. [3]
Doch zurück zu Ovid beziehungsweise seinen Nachfolgern. Hier kommt einem vor allem der berühmte französische Apotheker Émile Coué (1857–1926) in den Sinn. Er ist der Gründer einer Schule der (leider eben wieder ins Positive verkehrten) Selbstbeeinflussung, die darin besteht, daß man sich einredet, es gehe einem besser und immer besser. Mit etwas Talent läßt sich Coué aber umdrehen, und seine Technik kann dann in den Dienst der Unglücklichkeit gestellt werden.
Und damit können wir uns endlich der Praxis des bisher Erklärten zuwenden. Wir haben begriffen, daß die für unsere Zwecke unerläßliche Herbeiführung jenes Zustands, in dem die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut, erlernt werden kann. Hierzu bietet sich eine Reihe von Übungen an:
Übung Nr. 1: Setzen Sie sich in einen bequemen Sessel, möglichst mit Armstützen, schließen Sie die Augen, und stellen Sie sich vor, in eine reife, saftige Zitrone zu beißen. Mit etwas Übung wird Ihnen die imaginäre Zitrone bald das wirkliche Wasser im Munde zusammenlaufen lassen.
Übung Nr. 2: Bleiben Sie im Sessel sitzen, weiterhin mit geschlossenen Augen, und verschieben Sie Ihre Aufmerksamkeit von der Zitrone auf Ihre Schuhe. Es dürfte nicht lange dauern, und Sie werden bemerken, wie unbequem es eigentlich ist, Schuhe zu tragen. Gleichgültig, wie gut sie bisher zu passen schienen, Sie werden nun Druckpunkte bemerken und sich plötzlich auch anderer Unannehmlichkeiten
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