Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Speichel oder Blut sein, aber es fühlte sich an wie ein Tier, ein kleiner Wurm, eine Made oder eine Schnecke.
Er wollte sie wegwischen, aber er konnte seine Hände nicht bewegen. Seine Arme waren auf dem Rücken an etwas festgemacht.
Er tastete vorsichtig mit den Fingern. Das war Metall. Er trug Handschellen.
Er versuchte erst gar nicht, daran zu zerren. Sein Gesicht und sein Körper fühlten sich an wie eine einzige klaffende Wunde.
»So, Yogi, du Herzensbrecher! Hast du die Anklagepunkte verstanden? Hast du etwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?«
Johannes Klar hing auf dem Fakirstuhl und gab keinen Ton von sich. Eike ging davon aus, dass dieser Mann, den er nur durch einen Nebelschleier wahrnahm, inzwischen an seinen zahlreichen Verletzungen und der Bluttransfusion gestorben war.
Nach so viel Leid musste der Tod für ihn eine Erlösung gewesen sein, dachte Eike.
Nun holte der Hohepriester der Inquisition zu einer großen Geste aus und verbeugte sich sogar spöttisch in Klars Richtung. »Darf ich das Schweigen des Angeklagten dahingehend interpretieren, dass der Delinquent demütig bereut und um eine harte, aber gerechte Strafe bittet? Wiewohl er weiß, dass es keine Strafe gibt, die wiedergutmachen könnte, was er angerichtet hat.
So soll er denn auf diesem Stuhl sitzen, bis seine Seele den Körper endgültig verlassen hat. Dieser Prozess hat inzwischen begonnen, und nun wollen wir ihn nicht länger künstlich aufhalten. Möge er im nächsten Leben eine neue Chance bekommen, es besser zu machen. Nun allerdings wird er den Weg alles Irdischen gehen. Erde zu Erde. Asche zu Asche. Staub zu Staub.«
Er machte drei Schritte zu Eike und stieß ihn an. »Sprich mit! Aus Erde sind wir geworden, zu Erde sollen wir wieder werden.«
Er fuhr Eike an: »Mein Gott, denk doch nicht nur an dich! Willst du nicht wenigstens ein paar liturgische Worte mitsprechen?« Er schüttelte den Kopf. »Die Jugend von heute! Kein Respekt mehr vor nichts und niemand. Willst du auch einfach so verscharrt werden, ohne dass jemand ein paar Worte spricht? Hast du denn gar kein Ehrgefühl? Ein Mensch hat doch eine Würde …«
Dann wendete er sich ab, als hätte er aus einer Ecke eine Stimme gehört. Er ging dorthin. Um Verständnis heischend, sagte er sanft: »Aber sicher, Ines. Aber sicher.«
Holger Bloem schob sich gerade ein paar Erdnussflips in den Mund, als die E-Mail ankam. Er vergaß vor Schreck zu kauen.
Okay, ich gebe Ihnen einen Vertrauensvorschuss. Sie können Ihr Interview haben. Wir machen es schriftlich auf diesem Weg. Keine Fragen zu meiner Person. Sie versprechen, dass Sie meine Antworten ungekürzt bringen. Ich verlasse mich auf Sie, und Sie werden mich sicherlich nicht enttäuschen, Herr Bloem.
Holger Bloem leitete die Nachricht kommentarlos an Ann Kathrin weiter. Gleichzeitig rief er sie an.
Inzwischen arbeiteten die Teams unabhängig voneinander. Ann Kathrin, Weller, Rupert, Sylvia Hoppe und Rieke Gersema hatten sich im kleinen Besprechungsraum versammelt, um die Ergebnisse ihrer Recherchen zu diskutieren.
Ann Kathrin stand auf und fragte mit fester Stimme ins Telefon: »Weißt du, was das bedeutet, Holger?«
»Du wirst es mir gleich sagen.«
»Es bedeutet, dass wir eine Chance haben, Eike zu retten.«
Holger Bloem schluckte seine Erdnussflips unzerkaut runter. Dann hustete er: »Was soll ich ihn fragen, Ann?«
»Er muss versuchen, ihn zu treffen«, schlug Rupert vor.
Weller tippte sich an die Stirn. »Der Typ ist irre, aber nicht blöd.«
»Wir brauchen einen Psychologen«, rief Sylvia Hoppe und zückte ihr Handy.
Rupert sah sie scharf an. »Auf keinen Fall diese Elke Sommer!«
Rieke Gersema sagte nichts. Sie kaute auf ihrem neuen Brillengestell herum, das hinterm rechten Ohr nicht richtig saß und dort eine Stelle wundgescheuert hatte. Rieke konnte sich als Pressesprecherin etwas Schöneres vorstellen als einen Zeitungsartikel auf Seite eins, in dem ein mehrfacher Mörder ein Interview gab und – wie sie vermutete – die Polizei verhöhnte.
»Mir kann doch keiner erzählen«, schimpfte Rupert, »dass man den Standort von diesem gottverdammten Computer nicht ausfindig machen kann!« Einen Moment dachte er allen Ernstes darüber nach, Kai Wenzel aus Bochum zu fragen, ob er ihm nicht noch einmal behilflich sein könnte.
»Wir müssen uns sehr genau überlegen, wie das Interview läuft. Wenn wir ihn zu sehr in die Enge treiben, wird er den Kontakt zu uns abbrechen. Wir müssen ihm stattdessen
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