Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Sonnenschein.«
Ann Kathrin setzte sich neben Carola Heide und nahm ihre Hand.
Carola sagte: »Wenn er stirbt, will ich auch nicht mehr leben. Wir sind doch seit fast vierzig Jahren zusammen.«
In ihrem fliederfarbenen Kostüm wirkte sie merkwürdig verkleidet, ja falsch angezogen. Die Strumpfhose war am rechten Knie aufgeplatzt, und darunter waren Hautabschürfungen sichtbar. Der Rocksaum wies dunkle Blutflecken auf, und an ihren Schuhen klebte ebenfalls klumpiges Blut.
Weller telefonierte mit einem diensthabenden Kollegen in Norden. Die Täter waren unerkannt entkommen.
Ann Kathrin schaffte es nicht, Carola Heide nach dem Vorfall zu befragen oder gar eine Täterbeschreibung einzufordern. Sie sah aus, als brauche sie selbst ärztliche Betreuung und sei nur körperlich anwesend, während ihr Geist irgendwo anders herumflog.
Die Chirurgin Perid Harms kam mit raschen Schritten zu den Frauen. Sie kannte Ubbo Heide und war deutlich besorgt um ihn.
»Ihr Mann«, sagte Frau Dr. Harms, »wurde von drei Messerstichen verletzt.« Sie deutete an ihrem eigenen Körper die Stellen an. »Er hat viel Blut verloren. Wir konnten ihn aber stabilisieren.«
Carola Heide nickte die ganze Zeit wie mechanisch, dann ergriff sie den Arm der Ärztin und zerrte daran.
»Wird mein Mann sterben? Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit!«
»Nein, ich denke, Frau Heide, Ihr Mann hat Glück gehabt, dass der Rettungswagen so schnell da war. Bei solchen Verletzungen zählt jede Minute. Was mir aber Sorgen macht, ist sein Herz.«
Als würde sie ein streng gehütetes Geheimnis verraten, flüsterte Carola Heide: »Er hatte im letzten Jahr zwei kleine Infarkte.«
Ann Kathrin zuckte zusammen. Sie hatte nichts davon gewusst und warf sich vor, ihn nicht geschont zu haben. Wie oft hatte er gesagt: »Ich bin zu alt für so eine Scheiße«, wenn er mal wieder nach nächtlichen Krisensitzungen zu morgendlichen Dienstbesprechungen mit anschließender Pressekonferenz gegangen war.
Wie hatte er zwei Infarkte geheim halten können? Und warum überhaupt, fragte sie sich.
Perid Harms schlug Carola Heide vor, nach Hause zu fahren und sich auszuruhen. Die weigerte sich aber. »Ich kann doch jetzt nicht gehen und ihn hier alleinelassen.«
Die Chirurgin bot ihr ein Zimmer im Krankenhaus an, aber auch das wollte Frau Heide nicht. Beinahe störrisch bestand sie darauf, hier sitzen zu bleiben.
Perid Harms deutete Ann Kathrin an, das sei eine ganz normale Reaktion, und man solle der Frau einfach nur ein bisschen Zeit geben.
Ann Kathrin ging mit Perid Harms ein paar Meter durch den Flur. Ihre Schritte hallten. Ann Kathrin fragte leise: »Wann wird er vernehmungsfähig sein? Wir brauchen eine Täterbeschreibung.«
Die Chirurgin blieb stehen und sah Ann Kathrin direkt in die Augen. »Wenn er die Nacht überlebt, morgen früh. Der Stich in den Rücken war besonders schlimm. Im Bereich der unteren Brustwirbelsäule hat die Klinge eine verheerende Zerstörung angerichtet. Es wird lange dauern, bis Ihr Chef wieder aufrecht gehen kann … wenn überhaupt …«
Ein paar Informationen bekam Ann Kathrin von Carola Heide dann doch noch.
Es sollte sich um fünf bis sechs Jugendliche handeln. Wer zugestochen hatte und ob es nur einer aus der Gruppe war oder zwei, wusste sie nicht. Sie hatte nachts auf der Straße nicht viel erkennen können. Aber zwei Mädchen seien dabei gewesen. Eine habe eine weiße Ratte dabei gehabt und die andere viele Piercings im Gesicht.
Sie mussten es erst gar nicht besprechen. Die Hochzeitsreise hatte sich damit erledigt. Keiner von beiden wäre in der Lage gewesen, die Flitterwochen zu genießen, während die Täter ungestraft herumliefen. Außerdem war die ostfriesische Polizei jetzt, in dieser schwierigen Situation, mit einer verbrannten Leiche im Osterfeuer, praktisch führungslos.
Nein, ein Urlaub kam nicht in Frage.
Ann Kathrin weinte, als sie die Ubbo-Emmius-Klinik verließ. Der Angriff auf diese gutmütige Vaterfigur erschütterte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte.
Zurück im Distelkamp öffnete Weller eine Flasche Rotwein, und ohne Ann Kathrin zu fragen, ob sie etwas wollte, goss er ihr ein Glas ein. Dann ließ er sich in den Sessel fallen und sagte, er fühle sich, als hätte man ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Er erzählte von seinem überstrengen Vater, dem er es nie recht machen konnte und wie gut ihm dagegen Ubbos Art getan hatte.
»Manchmal«, sagte Weller, »habe ich erst durch Ubbos Führungsstil
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