Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
immer, mich ins Opfer hineinzuversetzen, Rupert. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf den Täter zu.«
Rupert schluckte. »Und? Wie fühlst du dich so als Willbrandt? Wie ist das so, ein Café in Carolinensiel zu besitzen und einen Bruder zu haben, der Kosmopositik unterrichtet oder wie der Mist heißt?«
Ann Kathrin deutete ihm an, er solle schweigen. Er tat es zu seiner eigenen Verblüffung.
»Er hat Willbrandt gevierteilt und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. So etwas wurde früher mit Pferden gemacht, die in alle vier Himmelsrichtungen getrieben wurden, um das Opfer zu zerreißen. Das konnte er nicht. Seine neuzeitliche Methode war eine Kreissäge. Deshalb ist der Kopf noch dran, Rupert. Er wollte Willbrandt vierteilen.«
In dem Moment meldete Schrader sich. »Scheiße, Leute, die sind im Krankenhaus!«
»Sicher?«, fragte Rupert.
»Ja. Die Ortung ist ganz eindeutig. Zwei Handys im Inneren der Ubbo-Emmius-Klinik.«
Sofort rief Ann Kathrin Weller an. »Sie sind bei euch. Pass um Himmels willen auf! Sie sind im Gebäude. Wir kommen sofort mit Verstärkung.«
Weller tastete nach seiner Waffe und funkelte den FSJ ler an. »Hast du ein Handy?«
Der junge Mann nickte eingeschüchtert. »Jeder hat doch heutzutage ein Handy.«
Weller wusste selbst nicht, warum, aber er ließ es sich zeigen.
Er rannte in die Intensivstation zu Ubbo Heide, der dort aber nicht mehr war. Weller stockte für einen Moment der Atem. Dann wurde ihm klar, dass man Ubbo inzwischen ja auf die chirurgische Station gebracht hatte.
Weller stürmte hin, dabei musste er wieder an Schlüter, Moser und Perid Harms vorbei. Er rief noch: »Sie sind hier! Es geht los!«
Im Laufen ermahnte er sich selbst: »Knall ihn nicht einfach ab in deiner Wut … Mach dich nicht unglücklich. Er ist nicht viel älter als deine Kinder. Nimm ihn hopp und konfrontiere ihn mit seinen Taten.«
Michi wollte nicht am Pförtner vorbei. Er nahm den Hintereingang.
Er kannte sich gut hier aus. Sein Lieblingsopa hatte lange hier gelegen.
Eine Einwegspritze hielt Michi schon in der Hand, und einen Kanister mit Desinfektionsmittel fand er im Flur. Er kniete davor und stach mit der Nadelspitze durch das Plastik. Er zog am Kolben, und die Spritze füllte sich mit einer grünen Flüssigkeit.
Er kam sich vor wie Sarah Connor im »Terminator«, nur dass er im Gegensatz zu ihr im Unrecht war. Sie versuchte, sich aus der Psychiatrie zu befreien, indem sie ihrem Psychiater die Spritze an den Hals hielt und drohte, alles in ihn hineinzuspritzen. Aber er war dabei, diesen Bullen umzubringen, der ihm nichts getan hatte.
Er sagte sich selbst, dass der Mann ja schon alt sei und sowieso nicht mehr lange leben würde, aber damit konnte er sein protestierendes Gewissen nicht wirklich beruhigen. Mit jedem Schritt, den er tiefer ins Innere des Krankenhauses machte, wich mehr Energie aus ihm. Sein Gang wurde schleppend.
Er überlegte, auf welcher Station er diesen Ubbo Heide suchen sollte. Das hatten die Schlaumeier Pik und Pille ihm nicht verraten.
Wenn ich jemanden frage, wird er sich später vielleicht an mich erinnern … Es wäre so einfach, wenn ich wüsste, wo er liegt, aber so …
Er sollte sich jetzt zum Entzug hier selbst einliefern und dann auf eine gute Gelegenheit warten. Immerhin, das Mordwerkzeug hatte er schon, und das Opfer war irgendwo hier im Haus.
Er betrat die psychiatrische Abteilung. Vor einer Tür saßen drei Klienten und warteten auf die Sprechstunde.
In einem Glaskasten fand gerade eine Mitarbeiterbesprechung statt. Michi starrte hinein wie in ein Aquarium mit exotischen Fischen.
Ein Arzt kam heraus. Vielleicht kam ihm Michis Verhalten seltsam vor, vielleicht musste er auch nur zur Toilette.
Michi sprach ihn an: »Ich bin gekommen … also, ich … ich bin gekommen, weil … also, weil ich nämlich … also …«
Michi begann zu stottern, was er sonst gar nicht an sich kannte, und diese Erfahrung erschütterte ihn noch mehr.
»Setzen Sie sich einfach dorthin. Sie müssen sich noch ein bisschen gedulden. Wir haben gerade eine Besprechung. Aber es dauert bestimmt nicht mehr lange. Nehmen Sie sich ruhig ein Glas Wasser, wenn Sie durstig sind.«
Die Freundlichkeit des Arztes und seine ruhige Stimme, die signalisierte, alles könne gut werden und für jedes Problem gäbe es irgendwo vielleicht auch eine Lösung, machte etwas mit Michi, das er nicht mehr kontrollieren konnte. Seine Knie wurden weich. Das Bedürfnis, sich auszuheulen, wurde
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