Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
und zu allem Überfluss war er auch noch sehr in Eile. Er schob ein rappelndes Medizinschränkchen vor sich her, darauf lagen Papiere und Medikamente in durchsichtigen Schachteln mit der Aufschrift:
Morgens, Mittags, Abends
.
In Schlüters vom Fieber gepeinigten Gehirn spielte sich eine grauenhafte Szene ab. Der junge Mann fuhr an ihm vorbei in die Intensivstation. Dort, so halluzinierte Schlüter, griff er nach hinten und zog seine Beretta. Die Waffe hatte einen langen Schalldämpfer. Weller hatte keine Chance. Die Kugel traf ihn unvorbereitet. Weller robbte dann aber noch ein paar Meter in Richtung Glastür und streckte eine Hand um Hilfe flehend aus, doch er, Schlüter, wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Dann feuerte der als Pfleger verkleidete Killer durch die Tür.
Schlüter spürte den Stich in seiner Brust so heftig, dass er sich hingriff, als er den Mann ansprach: »Moment! Wieso so schnell, Bürschchen? Wo willst du hin?«
»Ich … ich muss zu Herrn Heide. Der soll verlegt werden.«
Um seine albtraumhaften Phantasien nicht Wirklichkeit werden zu lassen, baute sich Schlüter groß auf und versperrte ihm den Weg. »Kann ich mal deinen Ausweis sehen?«
»Ja klar. Ich mache hier mein Freiwilliges Soziales Jahr. Ich …«
Er griff nach hinten, genau, wie er es in Schlüters Vision getan hatte. Schlüter war nicht gut in Mathematik. Naturwissenschaften waren einfach nicht seins. Aber er vertraute seinen Instinkten. Die waren intakt, und für einen Mann seiner Statur war er außergewöhnlich flink.
Bevor sein Gegenüber seine Beretta oder einen Ausweis ziehen konnte, packte Schlüter zu und verrenkte ihm den Arm. Um ihn voll unter Kontrolle zu bekommen, griff Schlüter dem Verdächtigen noch in die Haare und riss ihm den Kopf in den Nacken.
»Mach mir keinen Ärger, Bürschchen!«
Nun hatte der FSJ ler Jost Moser aus Süddeutschland schon viel über die rauen Sitten der Ostfriesen gehört, doch das ging ihm nun doch zu weit. Er hatte vor seiner Zeit als FSJ ler in Franken eine Kickboxerschule besucht und machte zum ersten Mal in freier Wildbahn von dem Gebrauch, was er dort gelernt hatte.
Schlüters massiver Körper war nicht so hart wie die Sandsäcke, an denen er trainiert hatte. Die machten auch andere Geräusche als Schlüter.
Weller sah, dass vor der Glastür ein Kampf stattfand. Ein Adrenalinstoß von unbekanntem Ausmaß durchflutete ihn und ließ ihn alles glasklar, aber wie in Zeitlupe, sehen. Er war nur Bruchteile von Sekunden später bei der Tür. Sie öffnete sich automatisch, aber viel zu langsam.
Weller geriet in Versuchung, seine Heckler & Koch zu ziehen, weil sein Kollege Schlüter zu Boden ging. Aber dann, als die Tür sich weit genug geöffnet hatte, sprang Weller den FSJ ler Jost Moser von hinten an und hatte ihn Sekunden später unter Kontrolle.
Die Chirurgin Perid Harms bremste Weller aus und klärte das Missverständnis auf. Es war Weller peinlich. Er rang sich Entschuldigungen und Rechtfertigungen ab, während sie zunächst Schlüter, dann den FSJ ler kurz untersuchte und medizinisch versorgte.
Weller musste dem jungen Mann wohl einen oder zwei Fausthiebe verpasst haben, denn Mosers Gesicht schwoll beachtlich an.
»Da haben wir ja noch mal Glück gehabt«, sagte Schlüter. »Immerhin sind wir in einem Krankenhaus, da wird einem gleich geholfen.«
Für Perid Harms, die manchmal als Cutman am Boxring stand, waren das hier nur harmlose kleine Hautabschürfungen. Nicht der Rede wert, und deswegen hätte in Ostfriesland kein Ringrichter einen Kampf abgebrochen.
Anschließend wurde Ubbo Heide von der Intensivstation auf die Station 7 verlegt.
Sie fuhren mit der Nordwestbahn nach Schortens und von dort nach Norden. Sie lösten sogar Fahrkarten, um nicht aufzufallen. Die Fahrt dauerte zwei Stunden und dreiundvierzig Minuten, dann waren sie in Norden und aßen erst einmal im Burger King jeder ein Sparmenü.
Michi hatte einen nervösen Magen und musste ständig rülpsen. Pik hatte tatsächlich vor, Ubbo Heide in der Ubbo-Emmius-Klinik umzubringen. Stillzumachen, wie er es nannte.
Der Plan klang einfach und gut, ja, genial, zumindest, wenn man so viel Kokain konsumiert hatte wie die beiden. Sie wollten, dass sich einer von ihnen als entzugswilliger Medikamentenabhängiger in die Ubbo-Emmius-Klinik einweisen ließ.
Beide kannten die Prozedur aus eigener Erfahrung, allerdings waren sie nicht ganz so freiwillig in den Genuss der Behandlung gekommen.
Pik sagte: »Wer aus
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