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Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer

Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer

Titel: Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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ja gar nicht so düster. Vielleicht ist sie es wirklich. Und wenn man diese Hinderer und Blutsauger und obersten Richter einfach in ihrem eigenen Elend zurücklässt und geht, dann ist man vielleicht plötzlich gar nicht mehr krank, sondern gesund, und die anderen sind die Kranken. Dann braucht man vielleicht gar keine Tabletten mehr, und der Tag hellt sich auch so auf, ganz von alleine.«
    Seine Lippen waren so nah an ihrem Ohr, dass sie befürchtete, er könnte versuchen, es abzubeißen. Er bemühte sich, ruhig zu sprechen und bedächtig zu klingen, aber die Wut waberte unter seinen Worten wie Lava kurz vor dem Ausbruch des Vulkans. Speicheltröpfchen trafen ihre linke Gesichtshälfte und ihren Hals.
    Sie beschloss, ihm zu widersprechen. Solange er versuchte, sie von etwas zu überzeugen oder sie zu etwas zu bringen, würde er sie nicht töten, hoffte sie.
    »Ja, das kann vielleicht manchmal so sein, das glaube ich auch«, sagte sie, um ihn zu beruhigen. »Wer hat nicht schon einmal solche Erfahrungen gemacht? Aber in ihrem Fall war das anders. Ines hatte Freunde. Unterstützer! Aber sie hat keine Hilfe angenommen. Sie hat die Hand, die sie gefüttert hat, weggestoßen …«
    Er schnaufte. »Das war ein Befreiungsversuch! Du Miststück! Weißt du, wie sehr sie an deiner verfluchten Hilfe gelitten hat?«
    »Ich … ich … ich war ihre Freundin! Wirklich!«
    Er reckte sich und lachte bitter. Sie befürchtete, er könnte ihr mit einem Gegenstand von hinten auf den Kopf schlagen. Das tat er aber nicht. Stattdessen trat er jetzt vor sie und zog einen leeren Stuhl heran. Er setzte sich nicht darauf, sah aber zwischen ihr und dem Möbelstück hin und her, ganz so, als hätte dort eine unsichtbare Person Platz genommen.
    Gleich würde er etwas Irres tun, das spürte sie, und alles in ihr lehnte sich dagegen auf.
    Sie wollte es nicht, weil sie die Konsequenzen fürchtete, aber sie konnte es nicht verhindern. Es begann mit einem Zittern ihrer Unterlippe und einem fast erstickten Jammern, wuchs sich dann aber zu einem lauten Heulen, ja Schreien aus.
    Er war sofort bei ihr und versuchte, ihr ein Handtuch in den offenen Mund zu stopfen. Sie würgte und hustete, dann war sie still. Der Lappen hing aus ihr heraus wie eine viel zu lange Zunge.
    Er sah sie nicht lüstern an. Er betrachtete ihren Körper nicht mit der geringsten Begierde, sondern eher sachlich, ja kühl, wie ein Medizinstudent, der einen Frosch sezieren muss, eigentlich aber keine Lust darauf hat, diese Arbeit sogar eklig und dumm findet, sie aber tun wird, egal, wie sinnlos sie ist, denn er braucht diesen Test für seine Prüfung. Ein höheres Ziel ist ihm wichtiger als dieser Frosch.
    »Ich habe dich gewarnt«, sagte er, um Sachlichkeit bemüht. »Das war’s jetzt. Du hast deine Chance verspielt. Ich werde dir die Lippen zusammenkleben.«
    Sie kämpfte gegen den Brechreiz an und schüttelte den Kopf. Das Handtuchende, das ihr aus dem Mund hing, klatschte gegen ihre Ohren.
    »Du gehörst mit zu denen, die sie umgebracht haben! Zu den Rüpeln. Ignoranten. Ichlingen. Du bist ein Teil dieser rücksichtslosen Gesellschaft voller Sozialallergiker. Ich wollte dir eine Chance geben. Aber nein, du brüllst einfach nur rum. Du hast nichts verstanden.«
    Er nahm den Klebstoff in die rechte Hand und zog mit der Linken die Schutzkappe ab. Ein weißer, durchsichtiger Tropfen quoll oben heraus und lief zäh an der trichterförmigen Öffnung entlang.
    Er griff nach der Handtuchspitze und zog daran. Ihre weiße Zunge wurde länger und länger. Der Stoff verließ ihren Mundraum wie eine Schlange ihr schützendes Bodenloch.
    Dann fiel das Handtuch auf die Küchenfliesen.
    Er wechselte die Tube von der rechten Hand in die linke, griff mit rechts ihren Kiefer und versuchte, ihren Kopf zu fixieren. Viel Bewegungsspielraum blieb ihr sowieso nicht. Er begann, ihre Unterlippe einzuschmieren.
    Sie spuckte. Sie versuchte sogar, das Zeug abzulecken, aber dann flehte sie: »Bitte! Bitte! Ich tu alles, was Sie sagen! Aber hören Sie doch auf!«
    Etwas erreichte ihn. Er ließ ihren Kiefer los und sah sie an. Dabei legte er den eigenen Kopf schräg, so als müsse er sie aus einer anderen Perspektive betrachten.
    Sie weinte. Das schien ihm zu gefallen.
    Er hob das Handtuch auf und tupfte die Schnellklebertropfen von ihrer Lippe. Sie reckte ihm den weitaufgerissenen Mund entgegen und hielt ganz still.
    Hinter ihr ließ er Wasser ins Spülbecken rauschen und benetzte das Handtuch.

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