Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Ein Mann mit einer viel jüngeren Frau … Es war Liebe, und ich liebe sie noch immer.«
»Wer könnte sie warum umgebracht haben?«
Er dachte kurz nach, atmete, machte eine demonstrative Pause, als frage er sich, ob er ihr das überhaupt zumuten könne. Dann sagte er bedächtig: »Sie wurde im übertragenen Sinne umgebracht. Also …«, er unterstrich die Worte mit den Händen, ja er knetete sie geradezu in der Luft, »all diese Ellbogen-Menschen, die haben sie umgebracht. Die zickige Freundin. Der unhöfliche Kontrolleur im Bus. Der Drängler an der Supermarktkasse hinter ihr. Sie litt an der Unhöflichkeit dieser lärmenden Welt.«
»Deswegen«, sagte Ann Kathrin sicher, »bringt sich niemand um.«
»Hypersensible schon«, konterte er und ergänzte mit spitzem Mund das Relativierende, ironisierte dabei: »Natürlich bringen sich nicht alle um. Einige fangen auch an zu saufen und stumpfen sich mit Alkohol ab. Andere gehen nicht mehr aus dem Haus und vereinsamen lieber, statt ständig verletzt zu werden. Ich fürchte, Frau Kommissarin, die Art, wie Ines umgebracht wurde, ist nicht justitiabel.«
Ann Kathrin stimmte ihm scheinbar zu. »Sie hat also Ihrer Meinung nach den letzten Schritt selbst getan?«
»Ja, und das sehr demonstrativ. Damit alle sehen konnten, was sie ihr angetan haben. Solche Feten waren nichts für sie und kein Vergnügen. Viel zu laut. Viel zu viel Konkurrenz. Sie hat dieses Leben als ein einziges Hauen und Stechen empfunden. Partys waren ihr ein Gräuel.«
Vielleicht, dachte Ann Kathrin, hat sie mit ihm nie Partys besucht, weil sie Angst hatte, wegen des Altersunterschieds ausgelacht zu werden. Aber das sagte sie nicht. Stattdessen formulierte sie es als Frage: »Sie hat also mit Ihnen selten an solchen Feten teilgenommen?«
»Stimmt genau.«
»Was haben Sie stattdessen miteinander gemacht?«
»Was Paare so miteinander tun«, antwortete er anspielungsreich und fuhr sich durch die Haare. »Wir sind viel am Deich spazieren gegangen, wo der Wind den Lärm der Zivilisation einfach wegpustet. Das hat sie geliebt.«
Sie zeigte auf seine mehrere hundert CD s umfassende Sammlung: »Und Musik gehört?«
»Ja, manchmal. Wir konnten auch gut zusammen in Stille schweigen.«
»Wenn Sie sich so gut verstanden haben, warum haben Sie sich dann getrennt?«
»Ich dachte, das hätte ich Ihnen bereits erklärt …«
Sie sah ihn nur an. Er geriet dadurch unter Erklärungsdruck. Er brauchte eine Pause von zwei Atemzügen, aber dann legte er los:
»Sie hat es nicht länger ausgehalten. Ja, ich habe höchste Anerkennung bekommen für die junge Freundin. Aber sie! Für sie war es ein Spießrutenlaufen ohne Ende. Für die einen war ich nur ihr Vaterersatz, für die anderen hat sie es nur für Geld getan …« Er ließ die Hände durch den Raum kreisen. »Dass ich nicht gerade auf Hartz IV bin, sieht man ja.«
»Sie verstecken es auch nicht.«
»Eben. Warum auch? Wir haben es zusammen genossen. Aber ihr Glück hat sie kaum ausgehalten. Ihre Freundschaften, sofern man das überhaupt so nennen darf, basierten alle auf einem Gefälle.« Er stellte es mit den Händen wie eine Treppe dar. »Die anderen waren immer oben und sie unten. Eine Statusveränderung war nicht drin. Mit mir fuhr sie in Urlaub und …«
Bevor seine stolze Aufzählung begann, uninteressant zu werden, unterbrach Ann Kathrin ihn: »Nennen Sie mir ein Beispiel.«
»Ein Beispiel? Gut. Da war diese Michaela Warfsmann. Eine ehemalige Klassenkameradin. Die hat geheiratet, und dann haben sie Ines als Mädchen für alles eingestellt. Die hat unsere Beziehung auch nicht ausgehalten und sogar von Prostitution gesprochen. Prostitution! Diese Frau hatte mich nie gesehen, aber gleich ein Urteil über mich gefällt und damit auch über Ines. Der nutzt dich doch nur aus und so, hat sie ihr erzählt.« Er winkte ab. »Wie diese Kleingeister eben so sind.«
Ann Kathrin nickte verständnisvoll. Sie wusste, dass Menschen, die sich angenommen und verstanden fühlten, freier redeten. Da war er nicht anders als alle anderen.
»Ihre Mutter«, sagte er leise und beugte sich dabei vor, als würde er sie ins Vertrauen ziehen, »ihre Mutter hat auch einen Anteil an ihrem Selbstmord. Das ist eine ganz schreckliche Frau. Trinkerin. Tablettenabhängig. Sexsüchtig … Die hat sogar mich angegraben, können Sie sich das vorstellen? Die hat versucht, ihrer Tochter den Freund auszuspannen?«
»Altersmäßig hätten Sie auch besser zueinander gepasst«, sagte
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