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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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keine Luxus-Fertigkeiten, sondern Überlebenstechniken. « 6 Viele traditionelle Berufe wie Reisekauffrau, Apotheker, Bibliothekarin, Schaffner, Steuerberater usw. wird es – so wie wir sie jetzt kennen – in Zukunft nicht mehr geben. Das, was die jüngere Generation heute schon am eigenen Computer erledigen kann, wird als Beruf nur noch mit Sonderexpertenstatus überleben. Millionen Dienstleistungsberufe, die darauf basieren, etwas im Internet zu finden, das jeder selbst finden kann, sterben aus. Die Schlüsselkompetenzen des quartären Sektors – der Welt der hochqualifizierten Berater, der Umwelt- und Gesellschaftsscouts, der Spitzentechnologen und spezialisierten Kommunikationsdienstleister – braucht selbstständig denkende Menschen, kreative Konfliktlöser, führungsstark und in höchstem Maße teamfähig.
    Das Standardmodell der Schule ist dieser Herausforderung nicht gewachsen. Ihre Aufgabe seit Einführung der Schulpflicht im 18. und 19. Jahrhundert war es, der Wirtschaft und dem Staat vielseitig verwendbare Fachkräfte ohne allzu signifikante Persönlichkeitsmerkmale bereitzustellen. Gebraucht wurden treue Staatsdiener, Beamte und Angestellte sowie einschlägig ausgebildete Fachkräfte in überschaubaren Tätigkeitsfeldern. Die überwiegend passive Rolle des Schülers in der Schule war sinnvoll und gewünscht und Kreativität außerhalb gelenkter Bahnen so unnötig wie ungewollt. Die Schulstruktur, wie wir sie heute (von Ausnahmen abgesehen) kennen, ist nach diesem Modell konstruiert.
    Die heutige Aufgabe der Schule müsste dagegen sein, Kinder auf ein erfülltes Sozial- und Berufsleben in einer zukünftigen Gesellschaft vorzubereiten, sie zur aktiven Lebensgestaltung zu befähigen und zu ermutigen. Dafür müssen sie nicht nur lernen zu lernen – so als handele es sich dabei einzig um eine Technik –, sondern die Schule muss alles dafür tun, dass Kinder und Heranwachsende in ihrem Leben auch dauerhaft lernen wollen.
    Der Bildungspolitik fällt dabei die Aufgabe zu, ein System zu schaffen, das allen Menschen eine ganz reale Chance gibt, die Gestaltungsmöglichkeiten in unserer Gesellschaft tatsächlich nutzen zu können. Freiheit ist keine Frage theoretischer Chancen, sondern eine Frage sozialer Realitäten. Es nutzt niemandem etwas zu sagen: » Du musst deine Chance nutzen! « , wenn man nicht weiß, wie das geht. Kindern aller gesellschaftlichen Schichten nach Kräften dabei zu helfen, ihre Potenziale zu entfalten, ist der Auftrag gegenwärtiger und zukünftiger Bildungspolitik.
    Bedauerlicherweise ist auch dieses Terrain noch immer ideologisch stark vermint. In der öffentlichen Bildungsdebatte streiten sich zwei Fraktionen. Einige – sehr laute – Stimmen meinen, das Ziel der Bildungspolitik solle sich allein an den Anforderungen des zukünftigen Arbeitsmarkts orientieren. Andere dagegen rufen den Namen » Humboldt « in die Runde und bestehen darauf, dass Bildung ein Individualrecht sei und deshalb niemals zweckgebunden sein dürfe. » Bildung für sich selbst « oder » Bildung für die Wirtschaft « lautet der Gegensatz.
    Ich möchte in diesem Buch zeigen, dass dieser Widerspruch ein Scheinwiderspruch ist. Denn die richtig verstandenen Interessen der Wirtschaft sind letztlich die gleichen wie die Interessen derjenigen, die möglichst allen Kindern dieser Gesellschaft einen zeitgemäßen Schulunterricht und eine Chance auf ein erfülltes Leben geben wollen. Angesichts der demografischen Entwicklung in unserem Land, in dem es heute so wenige Kinder gibt, legen nicht nur Sozialisten und Humanisten den größten Wert darauf, jedes Kind mitzunehmen. Auch Firmen, Betriebe und Unternehmen können sich die soziale Selektion der Gegenwart schon lange nicht mehr leisten.
    Bedauerlicherweise aber zeichnen sich in der Bildungsdiskussion weiterhin drei alte Frontstellungen ab, die eigentlich längst überwunden sein sollten. Die erste ist die soziale Front. Sie betrifft die Abschottungsversuche einiger uneinsichtiger Besserverdienender gegen die bildungsschwache Unterschicht. Man glaubt, man müsste die anderen frühzeitig loswerden, um den eigenen Kindern die besten Karrieremöglichkeiten zu schaffen. Die zweite ist die professionelle Front. Hier kämpfen viele der am Schulsystem Beteiligten und dafür Verantwortlichen – Lehrer, Lehrerverbände, Schuldirektoren und Kultusminister – gegen ihre externen Kritiker, also Eltern, Pädagogik-Professoren, Stiftungen und Journalisten. Die dritte Front

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