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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
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geworden bin, oder was es auch war?« Das will ich jetzt hören. Die Erleichterung, nicht tot zu sein, ist verflogen.
    »Ich habe ihm gesagt, er solle herauskommen und sich mir stellen. Er hat es nicht akzeptiert, sondern nur sein grässliches Lächeln aufgesetzt. Dann ist er verschwunden. Außer Rauch ist nichts von ihm geblieben.« Anna wendet sich an Morfran. »Was ist er überhaupt?«
    »Er war ursprünglich ein Obeah-Mann. Was er jetzt ist, weiß ich nicht. Jegliche Begrenzung hat er mit seinem Körper abgestreift. Jetzt ist er nur noch reine Kraft.«
    »Was genau ist eigentlich Obeah?«, will Carmel wissen. »Bin ich denn die Einzige, die nicht Bescheid weiß?«
    »Es ist nur ein anderes Wort für Voodoo«, erkläre ich.
    Morfran knallt die Faust auf die Holztheke. »Wenn du das glaubst, bist du schon so gut wie tot.«
    »Was meinst du damit?«, frage ich ihn. Ich rappele mich auf, bis ich schwankend stehe. Anna nimmt meine Hand. Dies ist kein Gespräch, das man auf dem Sofa führt.
    »Obeah ist Voodoo«, erklärt er. »Aber Voodoo ist nicht Obeah. Voodoo ist nichts weiter als afro-karibische Hexerei und folgt den gleichen Regeln wie die Magie, die wir alle praktizieren. Obeah hingegen kennt keine Regeln. Voodoo kanalisiert Macht. Obeah ist die
Macht. Ein Obeah-Mann kanalisiert keine Energien, sondern nimmt alles in sich auf und wird zu einer Quelle der Macht.«
    »Aber das Kreuz – ich habe damals ein schwarzes Kreuz gefunden, das deinem für Papa Legba ähnelt.«
    Morfran winkt ab. »Wahrscheinlich hat er als Voodoo-Priester begonnen. Jetzt ist er viel, viel mehr. Du hast uns echt in die Scheiße geritten.«
    »Was meinst du damit, ich hätte euch da reingeritten?« , wehre ich mich. »Ich habe ihn doch nicht gerufen, nach dem Motto: ›Hallo, Typ, nachdem du meinen Vater getötet hast, darfst du herkommen und meine Freunde terrorisieren!‹«
    »Du hast ihn angeschleppt«, knurrt Morfran. »Er war die ganze Zeit bei dir.« Er starrt den Athame in meiner Hand an. »Er ist huckepack in dem verdammten Messer mitgekommen.«
    Nein. Nein. Das darf doch nicht wahr sein. Ich verstehe, was er sagt, aber das kann einfach nicht sein. Andererseits – der Athame fühlt sich seit einiger Zeit schwerer an. Schwerer als früher. Das Schimmern der Klinge, das ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, kommt mir heimlichtuerisch und verräterisch vor. Sollten dieser Obeah-Mann und mein Athame wirklich miteinander in Verbindung stehen?
    Mein Verstand sträubt sich, obwohl ich längst weiß, dass Morfran recht hat. Warum sonst hätte mir dieser Geist den Dolch zurückholen sollen? Warum sonst hat Anna Rauch gerochen, als die Klinge sie verletzt hat? Sie hat gesagt, das Messer sei noch mit etwas anderem
verbunden. Mit etwas Dunklem. Bisher dachte ich, sie hätte nur die eigene Kraft des Athame wahrgenommen.
    »Er hat meinen Vater getötet«, stöhne ich.
    »Natürlich hat er das getan«, poltert Morfran. »Was glaubst du denn, wie die Verbindung zu dem Messer entstanden ist?«
    Darauf antworte ich nicht. Denk doch mal nach, du Genie, sagt Morfrans Blick. Bei der einen oder anderen Gelegenheit haben wir ihn alle zu spüren bekommen. Aber ich bin erst vor fünf Minuten von dem Obeah-Fluch befreit worden, also könnte er ruhig etwas nachsichtiger sein.
    »Das Wesen hat eine Verbindung zu deinem Vater«, flüstert meine Mom. Dann wird sie konkreter: »Weil es ihn gefressen hat.«
    »Das Fleisch«, ergänzt Thomas mit glänzenden Augen. Er blickt Bestätigung heischend zu Morfran und fährt fort: »Der Geist isst Fleisch. Und Fleisch ist Macht. Die Essenz. Als er deinen Vater gefressen hat, ging dabei auch dessen Kraft auf ihn über.« Er betrachtet meinen Athame, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. »Es ist das, was du die Blutsbande nennst, Cas. Er hat sich dort eingeklinkt und nährt sich auf diese Weise.«
    »Nein«, wehre ich schwach ab. Thomas macht eine hilflose, verlegene Miene und will mir wohl zu verstehen geben, dass ich es ja nicht absichtlich getan habe.
    »Wartet mal«, unterbricht Carmel. »Wollt ihr mir erzählen, dieses Ding hätte sich auch Stücke von Will
und Chase einverleibt? Schleppt es jetzt Teile der beiden mit sich herum?« Sie ist entsetzt.
    Ich betrachte den Athame. Ich habe ihn benutzt, um Dutzende Geister zu bezwingen. Morfran und Thomas haben natürlich recht. Aber wohin habe ich sie nun eigentlich geschickt? Ich will gar nicht darüber nachdenken. Hinter meinen geschlossenen Lidern blitzen die

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