Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
rund um die Uhr in Flammen.« Er blinzelt mich an. »Vielleicht kann ich es dir eines Tages beibringen.«
»Das wäre schön.«
In diesem Moment platzt Thomas in frischer, aber nicht zusammenpassender Kleidung auf die Veranda heraus. Er hüpft die Treppe herunter.
»Los, wir fahren zu Anna«, sage ich. Er läuft grün an. »Ich muss das Ritual abstimmen, sonst muss ich mir nächste Woche deinen abgeschnittenen Kopf und Carmels innere Organe ansehen.« Thomas wird noch grüner. Ich klopfe ihm auf den Rücken.
Dann werfe ich Morfran einen Blick zu, der uns über den Kaffeebecher hinweg beäugt. Also kanalisiert man Macht, wenn man Voodoo betreibt. Er ist wirklich ein interessanter Mann, und er hat mir viel zu viel Stoff zum Nachdenken gegeben, um jetzt zu schlafen.
Unterwegs lässt die Aufregung nach den Ereignissen der vergangenen Nacht allmählich nach. Meine Augen fühlen sich an wie Sandpapier, und trotz des Bechers Lösungsmittel, den Morfran Kaffee nennt und den ich in mich hineingeschüttet habe, kippt mir der Kopf zur Seite. Thomas schweigt die ganze Zeit. Wahrscheinlich denkt er immer noch darüber nach, wie sich Carmels Hand auf seinem Arm angefühlt hat. Wenn das Leben fair wäre, dann würde Carmel sich umdrehen, ihm tief in die Augen sehen, erkennen, dass er ihr willenloser Sklave ist, und dankbar dafür
sein. Sie würde ihn aufstehen heißen, und er wäre kein Sklave mehr, sondern einfach nur Thomas, und sie wären froh, dass sie einander haben. Aber das Leben ist nicht fair. Wahrscheinlich wird sie bei Will oder irgendeinem anderen Trottel landen, und Thomas wird still leiden.
»Du darfst dich dem Haus nicht nähern.« Mit der Bemerkung reiße ich ihn aus den Tagträumen, damit er nicht abzubiegen vergisst. »Du kannst im Auto bleiben oder mir ein Stück auf der Zufahrt folgen, aber nach den Ereignissen von heute Morgen ist sie vermutlich instabil. Du darfst keinesfalls die Veranda betreten.«
»Das musst du mir nicht zweimal sagen«, schnaubt er.
Wir nähern uns dem Haus, und er beschließt, im Auto zu bleiben. Als ich die Vordertür öffne, blicke ich nach unten und vergewissere mich, dass ich tatsächlich im Flur stehe und nicht mit dem Gesicht voran auf einen Leichenhaufen stürze.
»Anna?«, rufe ich. »Anna, wie geht es dir?«
»Was für eine alberne Frage.«
Sie kommt gerade aus einem Zimmer im oberen Stockwerk und lehnt sich an das Geländer. Sie ist nicht die dunkle Göttin, sondern das Mädchen.
»Ich bin tot. Mir geht es weder gut noch schlecht.«
Sie hat den Blick gesenkt. Sie ist einsam, hat Schuldgefühle und ist hier gefangen. Sie bemitleidet sich selbst, und das kann ich ihr wirklich nicht vorwerfen.
»Ich wollte nicht, dass so etwas geschieht«, sage ich aufrichtig. »Ich wollte dich nicht in diese Situation bringen. Carmel ist mir ohne mein Wissen gefolgt.«
»Geht es ihr gut?«
»Ja, alles in Ordnung.«
»Gut. Ich dachte schon, ich hätte sie verletzt. Dabei hat sie so ein hübsches Gesicht.«
Anna blickt mich nicht an. Sie fingert am Holzgeländer herum. Anscheinend hofft sie, dass ich noch etwas sage, aber ich weiß nicht, was sie von mir erwartet.
»Du musst mir erklären, was dir zugestoßen ist. Ich muss wissen, wie du gestorben bist.«
»Warum willst du, dass ich mich daran erinnere?«, fragt sie leise.
»Weil ich dich verstehen will. Ich muss begreifen, warum du so stark bist«, antworte ich nachdenklich. »Nach allem, was ich weiß, war deine Ermordung gar nicht so seltsam oder schrecklich. Es war nicht einmal außergewöhnlich brutal. Deshalb kann ich nicht begreifen, wie du das geworden bist, was du bist. Es muss etwas geben, das …« Ich halte inne, weil Anna mich mit großen, empörten Augen ansieht. »Was ist?«
»Ich bedaure allmählich, dass ich dich nicht getötet habe«, sagt sie. Mein unter Schlafentzug leidendes Gehirn braucht einen Moment, aber dann fühle ich mich wie ein komplettes Arschloch. Ich hatte zu oft mit Toten zu tun, ich habe so viele üble, widerliche Dinge gesehen, dass ich darüber rede, als wäre es nur ein Kinderlied.
»Wie viel weißt du?«, fragt sie. »Was weißt du über das, was mit mir passiert ist?«
Sie spricht jetzt leise, ihre Stimme klingt bedrückt. Ich bin damit groß geworden, über Morde zu reden und alle Fakten genau zu beschreiben, aber diese Situation macht mich verlegen. Anna steht direkt vor mir, jetzt sind es nicht nur Worte oder Bilder wie aus einem Buch. Als ich endlich antworte, versuche ich es
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