Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
immer wieder an das Gleiche denken.« Er lächelt. »In deinem Fall treffen alle drei Punkte zu.«
»Du kannst Gedanken lesen?«, fragt sie ungläubig.
»Setz dich, Carmel«, sage ich.
»Ich will mich nicht setzen«, gibt sie zurück. »Ich erfahre in letzter Zeit viele interessante Dinge über Thunder Bay.« Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Du kannst Gedanken lesen, in dem Haus da lebt etwas, das meine Exfreunde umbringt, und du …«
»Ich töte Geister«, beende ich den Satz. »Damit.« Ich hole den Athame hervor und lege ihn auf den Tisch. »Was hat Thomas dir sonst noch erzählt?«
»Nur dass dein Vater es auch getan hat«, antwortet sie. »Ich glaube, dabei ist er umgekommen.«
Ich werfe Thomas einen scharfen Blick zu.
»Tut mir leid«, flüstert er hilflos.
»Ist schon klar. Du hast es nicht leicht, ich weiß.« Ich grinse, und er sieht mich verzweifelt an. Als ob Carmel es nicht längst wüsste. Sie ist ja nicht blind.
Ich seufze. »Was jetzt? Kann ich euch sagen, ihr sollt nach Hause gehen und alles vergessen? Kann ich verhindern, dass wir eine nette kleine Gruppe von …« Ich spreche es nicht aus, sondern beuge mich vor, schlage mir die Hände vor das Gesicht und stöhne. Carmel begreift es als Erste und lacht.
»Dass wir eine nette kleine Gruppe von Ghostbustern werden?«
»Ich bin Peter Venkman«, verkündet Thomas.
»Hier spielt niemand irgendeine Rolle«, fauche ich. »Wir sind keine Ghostbuster. Ich habe den Dolch und töte die Geister, und ich will nicht die ganze Zeit über euch stolpern. Außerdem liegt auf der Hand, dass ich Peter Venkman wäre.« Ich sehe Thomas scharf an. »Du wärst Egon.«
»Wartet mal«, mischt sich Carmel ein. »Ihr könnt das nicht ohne mich abhandeln. Immerhin war Mike sozusagen mein Freund.«
»Das heißt nicht, dass du helfen darfst. Es geht hier nicht um Rache.«
»Worum denn dann?«
»Es geht darum … sie aufzuhalten.«
»Tja, das hast du bisher ganz hervorragend gemacht. Nach allem, was ich beobachten konnte, hast du es nicht einmal richtig versucht.« Carmel zieht die Augenbrauen hoch, und auf einmal werden meine Wangen heiß. Verdammt auch, ich erröte.
»Das ist doch bescheuert«, platze ich heraus. »Sie ist gefährlich, versteht ihr? Aber ich habe einen Plan.«
»Ja«, kommt Thomas mir zu Hilfe. »Cas hat sich alles genau überlegt. Ich habe die Steine aus dem See geholt. Sie laden sich unter dem Mond auf, bis er wieder abnimmt. Die Hühnerkrallen sind auch schon bestellt.«
Aus irgendeinem Grund ist mir nicht wohl, als er den Zauberspruch erwähnt. Es ist, als fehlte mir ein Bindeglied, als hätte ich etwas Wichtiges übersehen.
Jemand tritt ein ohne zu klopfen. Das Gefühl, etwas übersehen zu haben, verstärkt sich. Ich denke noch ein paar Augenblicke angestrengt nach und hebe den Kopf. Es ist Will Rosenberg.
Er sieht aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Er atmet schwer und hat den Unterkiefer nicht richtig unter Kontrolle, als hätte er getrunken. Auf den Jeans hat er Dreck- und Ölflecken. Dem armen Kerl geht es nicht gut. Er starrt das Messer auf dem Tisch an, also nehme ich es vorsichtshalber wieder an mich und stecke es in die Gesäßtasche.
»Ich wusste doch, dass du nicht ganz normal bist«, sagt er. Sein Atem enthält sechzig Prozent Alkohol.
»Das ist alles deine Schuld. Seit du hergekommen bist, läuft alles schief. Mike hat es gleich gewusst. Deshalb wollte er nicht, dass du dich mit Carmel triffst.«
»Mike hatte keine Ahnung«, erwidere ich ruhig. »Was ihm passiert ist, war ein Unfall.«
»Mord ist kein Unfall«, murmelt Will. »Hör auf, mich anzulügen. Was du auch tust, ich will dabei sein.«
Ich stöhne. Hier läuft auch alles schief. Morfran kehrt in die Küche zurück und würdigt uns keines Blickes. Er beschränkt sich darauf, seinen Kaffee anzustarren, als wäre er höchst interessant.
»Der Kreis wird größer.« Mehr sagt er nicht, und nun wird mir schlagartig klar, welches Problem sich mir die ganze Zeit entzogen hat.
»Verdammt«, fluche ich, werfe den Kopf zurück und starre die Decke an.
»Was ist?«, fragt Thomas. »Was ist denn los?«
»Der Spruch«, antworte ich. »Der Kreis. Wir müssen im Haus sein, um ihn zu wirken.«
»Ja. Na und?«, meint Thomas.
Carmel versteht es sofort und schlägt die Augen nieder.
»Carmel hat heute Morgen das Haus betreten, und Anna hätte sie fast aufgefressen. Der Einzige, der sich ungefährdet im Haus aufhalten kann, bin ich, und ich bin
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