Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
Vom Netzwerk:
Lebenden nachdenke. Jedenfalls freue ich mich, ihm sagen zu können, dass er bei dem Zauberspruch mitwirken soll. Das wird ihn hoffentlich etwas beschäftigen.»Du hast gesagt, du willst dabei sein. Hier ist die Gelegenheit für dich.«
    »Was für eine Gelegenheit soll das sein?«, giftet er. Seine Augen sind kalt und grau. Hart und klug.
    »Kannst du zuerst diesen Affen hier wegschicken?« Ich deute auf Chase, aber keiner der beiden rührt sich. »Wir werden einen Spruch wirken, um den Geist zu binden. Nach der Schule treffen wir uns in Morfrans Laden.«
    »Du bist der totale Freak, Mann«, faucht Chase mich an. »Du hast diesen Mist hierhergebracht. Du hast uns gesagt, was wir der Polizei erzählen sollten.«
    Ich weiß gar nicht, warum er jammert. Wenn die Cops bei ihm so nachlässig waren wie bei mir und Carmel, ist doch alles in Ordnung. Ich muss annehmen, dass es tatsächlich so gelaufen ist, denn meine Einschätzung war richtig. Mikes Verschwinden hat nur eine einzige kleine Suchaktion ausgelöst, die sich etwa eine Woche lang auf die umliegenden Hügel konzentriert hat. Es gab ein paar Zeitungsmeldungen, die rasch von den vorderen Seiten verschwanden.
    Alle haben die Geschichte geschluckt, er sei einfach
weggelaufen. Das war zu erwarten. Wenn die Menschen etwas Übernatürliches wahrnehmen, rationalisieren sie es, damit es in ihr irdisches Leben passt. So haben es die Cops in Baton Rouge auch nach der Ermordung meines Vaters gehalten. Sie nannten es einen isolierten Akt extremer Gewalt, und der Täter habe den Staat vermutlich längst wieder verlassen. Die Tatsache, dass etwas ihn angefressen hatte, hat sie nicht weiter interessiert. Es war ihnen egal, dass kein Mensch so große Brocken abbeißen könnte.
    »Wenigstens halten die Cops dich nicht für verdächtig«, antworte ich abwesend.
    Will knallt den Spind zu.
    »Darum geht es doch nicht«, sagt er leise. Er wirft mir einen harten Blick zu. »Ich hoffe, das hier ist nicht wieder ein Ablenkungsmanöver. Es wäre besser, wenn du dieses Mal kommst.«
    Als sie weggehen, taucht Carmel auf.
    »Was ist mit ihnen los?«, fragt sie.
    »Sie denken immer noch an Mike«, antworte ich. »Ist das so seltsam?«
    Sie seufzt. »Wir sind wohl die Einzigen, die es tun. Ich dachte, ich wäre nach seinem Tod von Schwärmen von Leuten umgeben, die eine Million Fragen stellen, aber nicht einmal Nat und Katie reden über sein Verschwinden. Sie interessieren sich eher dafür, wie es mit dir läuft, ob sich zwischen uns etwas anbahnt und wann ich dich zu irgendwelchen Partys mitbringe.« Sie blickt zu den vorbeiwandernden Schülern. Viele Mädchen lächeln, einige rufen ihr etwas zu und
winken, aber keine kommt zu uns herüber. Es ist, als hätte ich mir ein Mittel aufgesprüht, das Menschen abwehrt.
    »Ich glaube, sie sind irgendwie sauer«, fährt sie fort. »In der letzten Zeit habe ich mich nicht mehr mit ihnen getroffen. Das ist mies, weil sie ja meine Freundinnen sind. Aber … Über das, was mich wirklich beschäftigt, kann ich mit ihnen nicht reden. Ich fühle mich so abgesondert, als hätte ich etwas berührt, das mir die Farbe genommen hat. Oder vielleicht bin ich in Farbe, und sie sind schwarz-weiß.« Sie dreht sich zu mir herum. »Wir teilen ein Geheimnis, nicht wahr, Cas? Und das trennt uns vom Rest der Welt.«
    »So ist das immer«, stimme ich leise zu.
     
    Nach der Schule hüpft Thomas im Geschäft hinter der Theke herum. Es ist nicht die, wo Morfran die verkauften Sturmlaternen und Porzellanwaschbecken abrechnet, sondern die andere Theke weiter hinten, wo ein paar Gläser mit trübem Wasser stehen, in dem seltsame Dinge schwimmen, neben in Tücher gehüllten Kristallen, Kerzen und Kräuterbündeln. Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, dass ein paar Kerzen von meiner Mutter stammen. Wie raffiniert von ihr. Sie hat mir nicht einmal gesagt, dass sie Morfran besucht hat.
    »Hier.« Thomas hält mir etwas vor das Gesicht, das aussieht wie ein Bündel Zweige. Es sind die getrockneten Hühnerkrallen. »Sie sind heute Nachmittag gekommen.« Er zeigt sie auch Carmel, die sich bemüht,
eher beeindruckt als angewidert dreinzuschauen. Dann springt er wieder hinter die Theke, verschwindet und kramt eine Weile herum.
    Carmel kichert. Dann fragt sie mich: »Wie lange bleibst du noch in Thunder Bay, wenn das hier vorbei ist?«
    Ich blicke sie an. Ich hoffe, sie wird sich an das halten, was sie Nat und Katie erzählt hat – dass sie sich nicht in eine jugendliche

Weitere Kostenlose Bücher