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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
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nicht«, lacht sie. »Ich meine, er braucht jemanden, der ihn herausputzt und dafür sorgt, dass er sich gerade hält. Der Junge hat ja eine Figur wie ein Fragezeichen. Und er riecht wie die Pfeife eines alten Mannes.« Sie sucht einen Moment auf dem Rücksitz herum, dann holt sie ein Bündel Briefe nach vorn.
    »Ich habe mich schon gefragt, was mit der Post passiert ist«, sage ich, während ich die Umschläge durchgehe. Sie sind schon geöffnet. Das macht mir nichts aus, denn es sind nur Hinweise auf Geister, aber nichts Persönliches. Mitten im Stapel entdecke ich einen großen Brief von Gänseblümchen Bristol. »Gänseblümchen hat geschrieben«, sage ich. »Hast du es gelesen?«
    »Er will nur wissen, wie es für dich läuft, und er will dir erzählen, was ihm im letzten Monat passiert ist. Du sollst nach New Orleans kommen, weil sich dort an einem Baum der Geist einer Hexe herumtreibt. Angeblich hat sie dort früher geopfert. Es hat mir nicht gefallen, wie abfällig er über sie geredet hat.«
    Ich grinse. »Nicht jede Hexe ist eine gute Hexe, Mom.«
    »Ich weiß. Tut mir leid, dass ich deine Post gelesen habe. Aber du warst viel zu beschäftigt, um sie zur Kenntnis zu nehmen. Die meisten Briefe haben eine Weile auf dem Tischchen gelegen. Ich wollte dir das abnehmen und mich vergewissern, dass du nichts Wichtiges verpasst.«
    »Habe ich was Wichtiges verpasst?«
    »Ein Professor aus Montana will, dass du vorbeikommst und einen Wendigo erlegst.«
    »Bin ich Van Helsing?«
    »Er sagt, er kennt Dr. Barrows aus Holyoke.«
    Ich schnaube. »Dr. Barrows weiß doch ganz genau, dass es gar keine Monster gibt.«
    Meine Mutter seufzt. »Woher wissen wir, was real ist und was nicht? Die meisten Wesen, die du erledigt hast, würden andere Leute als Monster bezeichnen.«
    »Ja.« Ich lege die Hand auf den Türgriff. »Bist du sicher, dass du die Kräuter besorgen kannst, die ich brauche?«
    Sie nickt. »Bist du denn sicher, dass sie dir helfen?«
    Ich betrachte die schwärmenden Schüler. »Wir werden sehen.«
     
    Heute erinnern mich die Flure an einen Film. Sie wissen schon – diese Aufnahmen, wo die Hauptdarsteller in Zeitlupe dahinschreiten, während die normalen Menschen blitzschnell vorbeihuschen, sodass man ihre Haut und die Kleidung nur als verschiedenfarbige Flecken wahrnimmt. Ich habe Carmel und Will in der Menge entdeckt, aber Will entfernt sich von mir, und Carmel blickt nicht in meine Richtung. Thomas kann ich nirgends entdecken, obwohl ich zweimal an seinem Spind vorbeigelaufen bin. Jetzt versuche ich, während der Geometriestunde wach zu bleiben. Es gelingt mir nicht sehr gut. Es sollte verboten werden, so früh am Morgen Mathematik zu unterrichten.
    Mitten in einer Beweisführung landet ein zusammengefaltetes Blatt auf meinem Pult. Als ich es öffne, entdecke ich eine Nachricht von Heidi, einem hübschen, blonden Mädchen, das drei Reihen hinter mir sitzt. Sie fragt, ob ich beim Lernen Hilfe brauche, und ob ich Lust habe, den neuen Film mit Clive Owen anzusehen. Ich stecke den Zettel ins Mathematikbuch, als wollte ich später darauf antworten. Natürlich werde ich das nicht tun, und wenn sie nachhakt, werde ich antworten, dass ich ganz gut zurechtkomme, und vielleicht ein andermal. Möglicherweise versucht sie es noch einmal, zweimal oder dreimal, aber früher oder später wird sie es begreifen. Das klingt vielleicht gemein, aber das ist es nicht. Welchen Sinn hat es denn, einen Film anzusehen und etwas zu beginnen, das ich nicht fortführen kann? Ich will keine Menschen vermissen und will auch nicht von ihnen vermisst werden.
    Nach der Stunde laufe ich rasch hinaus und tauche in der Menge unter. Ich glaube zu hören, wie Heidi mich ruft, drehe mich aber nicht um. Ich habe viel zu tun.
    Will entdecke ich vor seinem Spind. Er hängt dort wie üblich mit Chase herum. Als er mich sieht, irrt sein Blick hin und her, als sei es ihm peinlich, mit mir zu sprechen.
    »Hallo, Will.« Ich nicke Chase zu, der mich mit versteinertem Gesicht anblickt, als wollte er mich warnen, weil er mich gleich verprügeln wird. Will sagt kein Wort. Er sieht mich nur an und holt die Lehrbücher für die nächste Stunde aus dem Spind. Schlagartig wird
mir klar, dass er mich hasst. Aus Loyalität Mike gegenüber hat er mich von Anfang an nicht gemocht, aber jetzt hasst er mich wegen der Dinge, die geschehen sind. Ich weiß nicht, warum ich das nicht schon längst bemerkt habe. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich kaum über die

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