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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
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Gefallen an Hühnerblut gefunden hat.
    »Nein«, sage ich noch einmal.
    »Cas.«
    »Nein. Warum bist du eigentlich so misstrauisch? Anna hat es jedenfalls nicht verdient, tot zu sein. Wenn ich ihr den Dolch in den Bauch ramme …« Ich ersticke fast, als ich es ausspreche. »Ich weiß nicht einmal, wohin ich sie schicken würde.«
    »Wenn wir die Beweise beschaffen …«
    »Haltet euch von ihr fern, das ist meine Sache«, entgegne ich aufgebracht.
    »Deine Sache?«, faucht Carmel. »Es war nicht deine Sache, als du unsere Hilfe gebraucht hast. Du warst nicht der Einzige, der sich in diesem Haus in Gefahr begeben hat. Du hast nicht das Recht, uns jetzt auszuschließen.«
    »Ich weiß«, seufze ich und habe keine Ahnung, wie ich es erklären soll. Ich wünschte, wir stünden uns näher. Wenn sie schon viel länger meine Freunde wären, könnten sie verstehen, was ich sagen will, auch ohne dass ich es ausspreche. Ich wünschte, Thomas wäre ein besserer Gedankenleser. Vielleicht ist er das sogar, denn jetzt legt er Carmel eine Hand auf den Arm und flüstert ihr zu, sie sollten mir etwas Zeit lassen. Sie
sieht ihn an, als hätte er den Verstand verloren, lenkt aber ein wenig ein.
    »Geht es dir immer so mit deinen Geistern?«, fragt er.
    Ich starre den Spind hinter ihm an. »Was meinst du damit?«
    Seine wissenden Augen forschen nach meinen Geheimnissen.
    »Ich weiß nicht«, sagt er nach einer kurzen Pause. »Willst du sie immer … beschützen?«
    Endlich erwidere ich seinen Blick. Das Geständnis liegt mir auf der Zunge und schnürt mir die Kehle zu, während Dutzende Schüler sich durch die Flure schieben und sich drängeln, um rechtzeitig zur dritten Stunde in die Klassenräume zu kommen. Gesprächsfetzen dringen an mein Ohr, als sie vorbeilaufen. Es klingt alles so normal, und mir fällt auf, dass ich nie solche Gespräche geführt habe. Die Klagen über die Lehrer und die große Frage, was man am Freitagabend unternehmen will. Für so etwas hatte ich nie Zeit. Ich würde gern mit Thomas und Carmel über solche Dinge reden. Eine Party planen oder überlegen, welche DVD ich ausleihen soll und wo ich sie mit meinen Freunden zusammen ansehen will.
    »Vielleicht kannst du es uns später erklären.« Ich höre seiner Stimme an, dass er Bescheid weiß. Ich bin froh darüber.
    »Wir sollten uns erst einmal darauf konzentrieren, deinen Athame zurückzubekommen«, schlägt er vor. Ich nicke schwach. Was hat mein Dad immer gesagt?
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Manchmal hat er gekichert und behauptet, das Leben sei voller Fußangeln.
    »Hat jemand Will gesehen?«, frage ich.
    »Ich habe ihn ein paar Mal angerufen, aber er geht nicht dran«, sagt Carmel.
    »Dann muss ich wohl direkt mit ihm reden«, überlege ich bedauernd. »Ich mag Will und weiß, wie wütend er sein muss, aber er kann das Messer meines Dads nicht behalten. Das kommt nicht infrage.«
    Es klingelt zur dritten Stunde. Wir haben gar nicht bemerkt, wie schnell sich die Flure geleert haben, und auf einmal sind unsere Stimmen sehr laut. Wir sollten nicht länger in einer Gruppe herumstehen. Früher oder später wird uns irgendein übereifriger Aufseher erwischen. Bei Thomas und mir steht jetzt der Lesesaal auf dem Programm, und danach ist mir überhaupt nicht.
    »Willst du blaumachen?« Wahrscheinlich hat er schon wieder meine Gedanken gelesen. Oder er ist einfach nur ein ganz normaler Jugendlicher mit guten Ideen.
    »Unbedingt. Was ist mit dir, Carmel?«
    Sie zuckt mit den Achseln und zieht sich die beigefarbene Strickjacke enger um die Schultern. »Ich habe Mathe, aber wer braucht das Zeugs schon? Außerdem habe ich bisher noch keine einzige Stunde versäumt.«
    »Cool. Dann holen wir uns was zu essen.«
    »Im Sushi Bowl?«, schlägt Thomas vor.
    »Pizza«, antworten Carmel und ich gleichzeitig.
Er grinst. Als wir den Flur hinuntergehen, bin ich erleichtert. In weniger als einer Minute werden wir die Schule verlassen und in der kalten Novemberluft stehen, und wer uns dann noch aufhalten will, sieht nur noch unsere Absätze.
    Auf einmal tippt mir jemand auf die Schulter.
    »He.«
    Als ich mich umdrehe, bemerke ich im letzten Moment die Faust, die mein Gesicht trifft. Dann breitet sich die bunte Schmerzpalette aus, die man erlebt, wenn man einen Schlag auf die Nase bekommen hat. Ich krümme mich und schließe die Augen. Etwas Warmes und Klebriges läuft mir über die Lippen. Ich habe Nasenbluten.
    »Will, was soll das denn?«, ruft Carmel.

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