Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
Ermordung, Chases und Wills grausames Ende und das Wissen, dass das Wesen, das meinen Vater getötet hat, jetzt hier umgeht und wahrscheinlich auch mich töten will –, bin ich guter Dinge.
Ich weiß, das ist mehr als komisch angesichts dieses Durcheinanders. Und dennoch, ich fühle mich gut. Beinahe sogar sicher, wenn Thomas, Carmel und Anna in der Nähe sind.
Als wir den Laden erreichen, fällt mir ein, dass ich meiner Mutter Bescheid sagen sollte. Wenn es wirklich das Wesen ist, das meinen Vater getötet hat, dann sollte sie es wissen.
»Wartet mal«, sage ich, nachdem wir ausgestiegen sind. »Ich muss meine Mom anrufen.«
»Hol sie doch her«, schlägt Thomas vor und übergibt mir den Autoschlüssel. »Vielleicht kann sie uns sogar helfen. Wir fangen schon mal ohne dich an.«
»Danke«, sage ich und steige wieder ein. »Ich komme so schnell wie möglich wieder her.«
Anna schiebt ein bleiches Bein ins Auto und lässt sich auf dem Beifahrersitz nieder.
»Ich komme mit.«
Ich will gar nicht widersprechen. Die Gesellschaft tut mir gut. Ich lasse das Auto an und fahre los. Anna betrachtet die draußen vorbeiziehenden Bäume und Gebäude. Aus ihrer Sicht muss sich viel verändert haben. Ich wünschte, sie würde etwas sagen.
»Hat Carmel dir vorhin wehgetan?«, frage ich schließlich, um das Schweigen zu füllen.
Sie lächelt. »Sei nicht albern.«
»Und wie ist es dir in deinem Haus ergangen?«
Ihr Gesicht ist so ruhig, als beherrschte sie sich mit großer Mühe. Sie ist immer recht still, aber allmählich habe ich den Eindruck, dass ihr Bewusstsein eine Art
Hai ist, der kreist und schwimmt, und bisher habe ich nur die Rückenflosse zu sehen bekommen.
»Sie zeigen sich immer wieder«, sagt sie vorsichtig, »aber sie sind immer noch schwach. Ansonsten habe ich einfach nur gewartet.«
»Worauf hast du gewartet?«, frage ich. Werfen Sie es mir nicht vor. Manchmal ist es besser, sich dumm zu stellen. Leider geht Anna nicht darauf ein. Also sitzen wir da, ich fahre, und mir liegt die Bemerkung auf der Zunge, dass ich es nicht tun muss. Ich führe ein sehr seltsames Leben, in das sie gut hineinpassen würde. Stattdessen sage ich: »Du hattest keine andere Wahl.«
»Das spielt keine Rolle.«
»Warum denn nicht?«
»Ich weiß es nicht, aber es ist so«, erwidert sie. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie lächelt. »Ich wünschte, ich hätte dir nicht wehtun müssen«, fügt sie hinzu.
»Wirklich?«
»Natürlich. Glaub mir, Cassio, ich wollte nie eine so tragische Gestalt werden.«
Unser Haus taucht vor uns am Hügel auf. Zu meiner Erleichterung entdecke ich das Auto meiner Mutter. Ich könnte die Unterhaltung fortsetzen, eine spitze Bemerkung machen und mich mit Anna streiten. Aber das will ich nicht. Ich will das alles wegschieben und mich auf das anstehende Problem konzentrieren. Vielleicht werde ich mich auch nie damit beschäftigen müssen. Vielleicht verändert sich etwas.
Ich lenke das Auto in die Zufahrt, und wir steigen
aus. Auf der Verandatreppe beginnt Anna zu schnüffeln. Sie blinzelt, als hätte sie Kopfschmerzen.
»Oh«, sage ich. »Richtig. Es tut mir leid. Ich habe den Schutzzauber vergessen.« Ich zucke unsicher mit den Achseln. »Du weißt schon, ein paar Kräuter und Gesänge, und dann kommt nichts Totes mehr durch die Tür. So ist es sicherer.«
Anna verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich ans Geländer. »Ich verstehe«, sagt sie. »Geh nur und hol deine Mutter.«
Drinnen höre ich meine Mom eine kleine Melodie summen, die ich nicht kenne. Wahrscheinlich hat sie sie selbst erfunden. Ich sehe sie hinter dem Bogengang vorbeigehen, der in die Küche führt. Ihre Socken rutschen über den Hartholzboden, und hinter ihr schleift der Gürtel ihres langen Strickmantels auf dem Boden. Ich greife danach und halte ihn fest.
»He!«, sagt sie gereizt. »Solltest du nicht in der Schule sein?«
»Du hast Glück, dass ich es war und nicht Tybalt«, antworte ich. »Er hätte dir den Strickmantel in Stücke gerissen.«
Sie schnaubt nur verärgert und bindet sich den Gürtel um die Hüften. In der Küche riecht es nach Blumen und Kakifrüchten. Es ist ein warmer, winterlicher Duft. Sie stellt gerade, wie jedes Jahr, eine neue Ladung ihres »Neujahrssegens« her. Auf der Website verkauft sich die Mischung sehr gut. Aber ich schweife ab.
»Und?«, fragt sie. »Willst du mir nicht verraten, warum du nicht in der Schule bist?«
Ich hole tief Luft. »Es ist etwas passiert.«
»Was
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