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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
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sagt Thomas schwach. »Wer tut so etwas? Wie kommt jemand auf die Idee …«
    »Es ist eigentlich kein Wer , sondern eher ein Was «, unterbreche ich ihn. Auf einmal bin ich sehr müde. Die Lehne des mit einer Plane geschützten Sofas ist sehr einladend. Ich sinke dagegen.
    »Ein ›Was‹?«, fragt Carmel.
    »Ja. Ein Ding. Es ist keine Person. Nicht mehr. Es ist das Wesen, das auch den Mann im Park zerfleischt hat.« Ich schlucke. »Über die Bisswunden haben sie natürlich nichts verlauten lassen. Sie halten Informationen zurück, deshalb habe ich es nicht früher erkannt.«
    »Bisswunden«, flüstert Thomas mit weit aufgerissenen
Augen. »Waren das tatsächlich Bisswunden? Das kann doch nicht sein. Sie waren zu groß, da haben riesige Stücke gefehlt.«
    »Es ist nicht das erste Mal«, wende ich ein, »auch wenn ich es noch nicht mit eigenen Augen gesehen habe. Und ich weiß heute, zehn Jahre später, immer noch nicht genau, was die Wunden verursacht hat.«
    Carmel klopft abwesend mit dem Aluminiumschläger auf den Boden. Das Geräusch hallt wie eine verstimmte Glocke durch das ganze Haus. Ohne ein Wort zu sagen, geht Anna an ihr vorbei, nimmt ihr den Schläger ab und legt ihn auf das Sofa.
    »Es tut mir leid«, flüstert Anna und blickt Carmel achselzuckend an, die ebenfalls mit den Achseln zuckt und die Arme vor der Brust verschränkt.
    »Schon gut. Es war mir gar nicht richtig bewusst. Und … es tut mir leid … Du weißt schon, dass ich dich gehauen habe.«
    »Es hat nicht wehgetan.« Anna tritt neben mich. »Cassio, du weißt, was das für ein Wesen ist.«
    »Als ich sieben war, hat mein Vater sich einen Geist in Baton Rouge, Louisiana, vorgenommen.« Ich starre direkt vor Annas Füßen den Boden an. »Er ist nicht mehr zurückgekehrt, der Geist hat ihn getötet.«
    Anna legt mir eine Hand auf den Arm. »Er war ein Geisterjäger wie du.«
    »Wie alle meine Vorfahren«, bestätige ich. »Er war wie ich und besser als ich.« Mir wird schwindlig, wenn ich daran denke, dass der Mörder meines Vaters in der Nähe ist. So war das nicht geplant. Ich wollte der
Angreifer sein. Mich vorbereiten, alle Hilfsmittel zur Hand haben und das Wesen jagen und erlegen. »Es hat ihn trotzdem getötet.«
    »Wie hat es ihn besiegt?«, fragt Anna leise.
    »Das weiß ich nicht«, antworte ich. Meine Hände zittern. »Früher dachte ich, er sei vielleicht abgelenkt gewesen oder in einen Hinterhalt geraten. Ich hatte sogar die Vorstellung, der Athame könne ihn im Stich gelassen haben – als würde er nach einer gewissen Zeit die Arbeit einstellen, wenn sein jeweiliger Besitzer eine bestimmte Zahl erreicht hat. Ich dachte sogar, es sei irgendwie meine Schuld. Ich hätte ihn auf dem Gewissen, weil ich älter geworden bin und langsam bereit war, ihn zu ersetzen.«
    »Das ist doch nicht wahr«, antwortet Carmel. »Das ist lächerlich.«
    »Ja, mag sein, aber vielleicht auch nicht. Wenn du ein siebenjähriges Kind bist, und dein Dad stirbt, und sein Körper sieht aus, als hätten sibirische Tiger ihn zum Abendessen verspeist, dann denkst du alle möglichen lächerlichen Dinge.«
    »Wurde er wirklich gefressen?«, fragt Thomas.
    »Ja, er wurde angefressen. Ich habe gehört, wie die Cops es beschrieben haben. Große Brocken waren herausgerissen, genau wie bei Will und Chase.«
    »Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass es ein und dasselbe Wesen ist«, wendet Carmel ein. »Es ist doch ein seltsamer Zufall. Und nach zehn Jahren?«
    Ich schweige, denn ihr Einwand ist nicht von der Hand zu weisen.
    »Vielleicht ist es wirklich etwas anderes«, überlegt Thomas.
    »Nein, es ist dieses Wesen, es ist ein und dasselbe. Ich bin mir sicher.«
    »Cas«, sagt er. »Woher willst du das wissen?«
    Ich sehe ihn scharf an. »Ich bin vielleicht kein Hexer, aber ich besitze trotzdem ein paar Fähigkeiten, die mich für diese Aufgabe qualifizieren. Ich weiß es eben, ja? Und meiner Erfahrung nach gibt es sowieso nicht viele Geister, die Menschenfleisch essen.«
    »Anna«, sagt Thomas behutsam, »hast du schon einmal etwas gefressen?«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nie.«
    »Außerdem«, fahre ich fort, »wollte ich mir das Wesen vorknöpfen. Das hatte ich schon immer vor, aber dieses Mal wollte ich Ernst machen.« Ich werfe Anna einen Blick zu. »Das dachte ich jedenfalls. Ich wollte es tun, wenn ich hier fertig bin. Vielleicht hat es das irgendwie erfahren.«
    »Jetzt verfolgt es dich«, antwortet Anna abwesend.
    Ich reibe mir die Augen und denke nach.

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