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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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für seine eigene Person schwer darunter, und nicht weniger Schmerz bereite ihm dein
    Kummer. Vielleicht sagst du, daß das Selbstsucht ist; aber es ist eine so erlaubte, edle Selbstsucht! Er möchte vor
    allen Dingen seine Tochter ehelich machen; er möchte dein Gatte sein und ein Recht auf dich haben.«
    »Welche Frau, welche Sklavin kann in dem Grade Sklavin sein, wie ich es in meiner Lage bin?« unterbrach Anna sie
    finster.
    »Die Hauptsache ist ihm aber doch ... die Hauptsache ist ihm, daß deine Leiden ein Ende nehmen möchten.«
    »Das ist unmöglich! Nun, und was weiter?«
    »Nun, etwas durchaus Ordnungsmäßiges: er möchte, daß eure Kinder den richtigen Namen haben.«
    »Was für Kinder?« versetzte Anna, indem sie die Augen zusammenkniff und es vermied, Dolly anzusehen.
    »Anny und die künftigen.«
    »In der Hinsicht kann er ganz beruhigt sein; ich werde keine weiteren Kinder bekommen.«
    »Wie kannst du das sagen, daß du keine mehr bekommen wirst? ...«
    »Ich werde keine mehr bekommen, weil ich es nicht will.«
    Und trotz all ihrer Aufregung mußte Anna lächeln, als sie den unverhohlenen Ausdruck von Neugier, Erstaunen und
    Schrecken auf Dollys Gesicht wahrnahm.
    »Der Arzt hat mir nach meiner Krankheit gesagt ...«
    – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
    »Nicht möglich!« rief Dolly mit weit geöffneten Augen. Für sie war dies eine jener Enthüllungen, aus denen sich
    so gewaltige Folgerungen und Schlüsse ergeben, daß man im ersten Augenblick nur die Empfindung hat, man könne nicht
    gleich alles mit seinen Ge danken umfassen, werde aber darüber noch viel, viel nachzudenken haben.
    Diese Enthüllung, durch die ihr auf einmal klar wurde, was ihr bisher unverständlich gewesen war, wie es nämlich
    zuging, daß in so vielen Familien nur ein oder zwei Kinder vorhanden waren, diese Enthüllung erweckte in ihr eine
    solche Menge von Gedanken, Vorstellungen und widerstreitenden Empfindungen, daß sie nicht imstande war, etwas zu
    sagen, und nur mit weit geöffneten Augen Anna erstaunt anblickte. Das war ja eben das, was sie sich in ihren
    Träumereien ausgemalt hatte; aber jetzt, wo sie erfuhr, daß so etwas möglich sei, erschrak sie heftig. Sie fühlte,
    daß dies denn doch eine allzu einfache Lösung einer so verwickelten Frage sei.
    »Ist das nicht unrecht?« fragte sie nur, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte.
    »Wieso? Überlege doch nur, ich habe die Wahl zwischen zwei Dingen: entweder schwanger, das heißt krank zu sein
    oder die Freundin und Genossin meines Mannes zu sein, der doch eben ein Mann ist«, sagte Anna in absichtlich
    oberflächlichem, leichtfertigem Tone.
    »Nun ja, nun ja«, antwortete Darja Alexandrowna. Jetzt, wo sie dieselben Gründe, die sie sich selbst vorgeführt
    hatte, aus Annas Munde hörte, fand sie sie nicht mehr so beweiskräftig, wie sie sie früher gefunden hatte.
    »Für dich und andere«, sagte Anna, wie wenn sie ihre Gedanken erriete, »kann es noch ein Bedenken geben, aber
    für mich ... Überlege doch, ich bin nicht seine Ehefrau; er liebt mich eben nur so lange, wie er mich liebt. Nun
    also, womit kann ich mir seine Liebe erhalten? Doch nur hiermit!«
    Sie streckte ihre weißen Arme vor ihrem Leibe aus.
    Mit großer Geschwindigkeit, wie das in Augenblicken starker Aufregung nicht selten ist, drängten sich Gedanken
    und Erinnerungen in Darja Alexandrownas Kopfe. ›Ich‹, dachte sie, ›habe Stiwa nicht an mich fesseln können; er ging
    von mir weg zu anderen, und jene erste, um deretwillen er mir untreu wurde, vermochte ihn dadurch, daß sie immer
    schön und heiter war, auch nicht festzuhalten. Er verließ sie und nahm eine andere. Sollte Anna wirklich imstande
    sein, den Grafen Wronski dadurch an sich zu fesseln und dauernd festzuhalten? Wenn sein Sinn auf dergleichen
    gerichtet ist, so wird er schon Frauen mit noch reizenderem Aussehen und mit noch muntrerem Wesen finden. Und wie
    weiß und schön auch ihre nackten Arme sein mögen, wie reizvoll ihre ganze üppige Gestalt, ihr erglühendes Gesicht,
    das aus diesem schwarzen Haarwuchs herausschaut: er wird immer noch etwas Besseres finden, wie mein abscheulicher,
    armer, lieber Mann immer sucht und findet.‹
    Dolly antwortete nicht und seufzte nur. Anna bemerkte diesen Seufzer, in dem zum Ausdruck kam, daß Dolly anderer
    Ansicht war, und fuhr fort. Sie meinte noch so starke Gründe in Vorrat zu haben, daß sich darauf

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